Eine Zeit lang höre ich nichts, nur ab und zu ein Schweifschlagen oder ein Schnauben. Es sind eindeutig die Geräusche eines Pferdes, dessen bin ich mir nun sicher. Aber die Fremde gibt nicht preis, wer sie ist und was ihre Gesinnung ist.
Dann jedoch, ein neues Geräusch, eines das ich nicht zuordnen kann. Sehen kann ich nichts, denn der Regen ist, so unvorstellbar es ist, noch stärker geworden. Dann höre ich nichts mehr.
Eine Weile ringe ich mit mir selbst, suche Rat bei dem weißen Schimmel: Sind wir alleine? Oder hat sich doch ein Raubtier hierher gewagt? Ist sie verletzt? Begebe ich mich in Gefahr, wenn ich nach ihr sehe? Aber ich kann sie auch nicht hier lassen, ausgeliefert was immer da draußen sein mag, oder? Oh, Liebster, glaubst du es ist eine Falle? Doch am Ende siegt doch mein Bedürfnis nach Gesellschaft und mein gutes Herz. Bisher habe ich noch keine Gefahr bemerkt, also beschließe ich das Wagnis einzugehen.
Vorsichtig trete ich in kleinen Schritten in die Richtung, in der ich die Stimme gehört habe. Da die Sicht immer noch sehr beschränkt ist, habe ich mitunter Angst, einfach an ihr vorbeizulaufen - möglich wäre es in dieser Sintflut.
Doch nein, gerade noch rechtzeitig bemerke ich die helle Gestalt am Boden. Ist sie tot? Nein, im nächsten Moment zuckt eins ihrer Beine. Ich lasse meinen Blick über den Körper am Boden gleiten, zumindest den Teil der nicht in der Dunkelheit verschwindet. Ihr Fall ist genauso nass wie meins, doch sie wirkt knochiger, obwohl gerade jetzt alle Gräser gut gedeihen und niemand Hunger leiden muss. Ihre Ohren sind zurückgelegt, zucken jedoch wie ihre Beine von Zeit zu Zeit.
Hilflos fühle ich mich, weiß nicht was ich machen soll. Man hat mir mal gesagt, man solle Schlafwandler nicht aufwecken und dieser Gedanke verfolgt mich nun. Doch bevor ich zu einer Entscheidung kommen muss, öffnen sich ihre Augen wieder. Kurz sieht sie aus wie eine Irre, das Weiße dominiert und starrt mich bedrohlich an. Dann jedoch schließen sie sich erneut und als sie sie wieder öffnet, sind sie wieder ganz normal. Kurz schüttle ich den Kopf um das Bild aus meinem Kopf zu verscheuchen.
Ich beobachte ihre Versuche, aufzustehen von meiner Position, noch immer bin ich nicht sicher ob ich ihr meine Hilfe anbieten soll. Ich will schon erleichtert aufatmen, als sie sich zittrig aufrichtet. Das Schlimmste scheint überstanden. Doch im selben Moment knicken ihre Beine wieder ein und sie sackt erneut zu Boden. Wie in einer Schockstarre bleibe ich stumm und regungslos stehen. Denn auch ohne meine Hilfe schafft die Stute es nach einer kleinen Ruhepause, sich aufzurichten. Zwar scheint sie immer noch etwas zittrig zu sein, aber scheinbar stabil.
Erst ein Donnergrollen weckt mich aus meiner Tatenlosigkeit. Diesmal bin ich es, die zusammenzuckt, und dann hektisch den Kopf herumwirft, als die Fremde wieder spricht. Sie nennt mir ihren Namen, Aida. Es dauert noch eine Weile, bis ich den nächsten Satz verarbeitet habe. Ich starre sie an, warte auf mehr, doch sie sieht mich nur fragend an. Nur langsam setzt mein Verstand die Wörter in Verbindung. Sie hat mich nach meinem Namen gefragt. Ich bin... Karitsa. Ich heisse Karitsa. Inzwischen spreche ich wirklich zu mir selbst, der weiße Hengst ist nicht bei meiner Seite. Langsam spreche ich dann auch die Worte aus: "Ich heisse Karitsa. Ist... ist mit dir alles in Ordnung?" Als ich die Frage ausspreche, erscheint sie mir selbst ein wenig unhöflich, aber die Qualen der Stute sehe ich noch immer, und obwohl ich sie nicht kenne, fühle ich mich auf einmal seltsam mit ihr verbunden. Vielleicht würden wir ja Freundinnen werden? Denn danach sehne ich mich gerade, jemanden der mit mir durch das Tal wandert.