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Immer lauter tickt die Uhr.


Linette » 28.09.2014, 20:20 » Herdenplatz CC #1

Damien


Ein frischer Wind spielte mit leuchtend rotem Haar und umschmeichelte einen wohlgeformten Körper, der von einem Fell ebensolcher Farbe verhüllt wurde. Linette. Eine Stute, die geprägt schien von Zurückweisung und Arroganz. Ein Trugschluss, der sich auf die Maske zurückführen ließ, welche sie bis heute nicht abgelegt hatte. Auch jetzt würde sie es wohl kaum tun. Jetzt, wo sie Teil von etwas war. Man hatte sie zur Heilerin der Corvus Corax ernannt, eine wichtige Aufgabe, der selbst ein überaus begabter Charakter nur schwerlich gerecht werden würde. Doch vielleicht würde der Umstand, dass sie von einer tödlichen, schleichenden Krankheit geprägt war, ihr weiterhelfen. Lin wusste, welche Befreiung das Abebben von Schmerz darstellte – und wenn sie dies nun nicht bei sich spüren konnte, so wollte sie dennoch anderen dazu verhelfen. Dieser Gedanke zeigte nur allzu deutlich den wahren Charakter, welcher hinter der sorgsam aufgebauten Mauer steckte. Und aus diesem Grund würde sie ihn auch nie offenbaren.

Wenn dir nur genug am Angestrebten liegt, wirst du es erreichen. Willst du reich werden, so wirst du reich werden; wenn du gelehrt werden willst, wirst du gelehrt werden; willst du ein guter Mensch werden, wirst du auch einer. Nur mußt du das Angestrebte tatsächlich wollen. Du mußt das, was du willst, ausschließlich anstreben und darfst nicht gleichzeitig hundert andere Ziele verfolgen, die mit dem Hauptziel unvereinbar sind.

Aber war es tatsächlich richtig gewesen, sich dieser Gruppierung anzuschließen? War dies das absolute Ziel, was sie in Wirklichkeit verfolgte? Sie wusste es nicht, denn es schien ihr, als hätte sie ihr Ziel längst aus den Augen verloren. Oder als hätte es nie eines gegeben. Vielleicht war ihr Tod vielmehr eine schmerzvolle Hoffnung als das Ziel, was sie verfolgen sollte. Entschieden schüttelte sie den Kopf, um sich der verworrenen Gedanken zu erwehren. Das ewige Nachdenken würde ihr keinerlei Antwort bringen, sie musste sich schlichtweg an ihrer neuen Aufgabe versuchen. Und wenn sie diese nicht erfüllen konnte, dann würde sie wieder gehen – so, wie sie es bereits früher getan hatte. Nur allzu deutlich konnte sie sich die anklagenden Worte ihrer ehemaligen Herde vorstellen, sollte sie je dorthin zurückkehren. Dass sie sie im Stich gelassen hätte, ohne Grund, nur aus einer schlichten Laune heraus. Wenn sie nur wüssten. Ein sachter Anflug von Traurigkeit huschte durch ihren Blick, ehe sich wieder die abweisende Haltung darin zeigte. Sie alle hatten keine Ahnung, nicht ihre Eltern, nicht die Herde und besonders nicht Akatosh. Vielleicht würden sie dennoch irgendwann den Sinn hinter ihren Taten erkennen. Gewissermaßen hegte sie doch die stille Hoffnung.

Endgültig riss die Rote sich nun von ihren Gedanken los und ließ ihren Blick über den Herdenplatz schweifen. Ihre neue Heimat. Keine einzige Gestalt kam ihr bekannt vor, niemandem war sie je auch nur flüchtig auf ihrem Weg durch das Stillreich begegnet. Doch vielleicht war das auch gut so. Ihre Situation glich einem gänzlichen Neuanfang, der vielleicht alles etwas zum Guten wenden würde. Die dunklen Augen erfassten für einen Moment eine Szene, die sich am Rande des Platzes abspielte. Ein anscheinend neuer Hengst war aufgetaucht und wurde von einigen misstrauisch beäugt, während er vom Leitwolf in Empfang genommen wurde. Nicht einmal im Ansatz konnte sie sich die Bedeutung dessen ausmalen, was sich dort gerade zutrug. Wie auch? Niemals war sie mit dem magischen Kern der Herde in Berührung gekommen und so formulierte ihr Geist keine weiteren Gedanken dazu. Es war für sie einfach eine alltägliche Situation, die sich in jeder Herde abspielte. Neue Wesen wurden häufig mit Misstrauen begrüßt, besonders in Zeiten wie diesen. Der Krieg schien förmlich zur Vorsicht zu mahnen und Leichtsinn umso härter zu bestrafen. Das Laub raschelte unter ihren Hufen, als Linette sich in Bewegung setzte. Es schien beinahe, als würde der Herbst nun mit aller Macht über das Land hereinbrechen und somit den kommenden Winter ankündigen wollen. Von diesem Aspekt her war der Zeitpunkt ihres Beitritts zu dieser Herde wohl gut gewählt – in einer solchen Gruppe ließ man niemanden den Hungertod sterben. Ihre Schritte waren nicht übermäßig zielgerichtet, wusste sie doch nicht, wohin genau sie nun wollte. Für den Anfang würde die Stute diesen Ort wohl einfach nur erkunden und versuchen, mehr über ihn herauszufinden. Vielleicht war es auch ganz angemessen, einmal mit Anderen zu sprechen. Vielleicht aber auch nicht. So hätte sie zu niemandem näheren Kontakt aufgebaut, sollte sie wieder verschwinden oder tatsächlich bald sterben. Die Entscheidung, was besser wäre, musste sie wohl oder übel noch treffen. Ihre Nüstern blähten sich leicht, als der metallische Geruch von Blut zu ihr vordrang und sie von ihrem erneuten Gedankengang ablenkte. Ohne weiter darauf zu achten hatte sie einen kleinen Wald betreten, welcher den Platz säumte. Dort, im Schatten der Bäume, lag ein wüster Haufen aus hellem Fell und dunklem Blut. Der Weg zu diesem Fleckchen war gesäumt von dunklen Tropfen, wohl entstanden durch die schwärenden Wunden. Ihre Haltung strahlte Misstrauen aus, ihre Ohren legten sich leicht in den Nacken. Scheinbar ein Hund, soweit sie dies erkennen konnte – und mit dieser Art von Bewohner des Stillreichs hatte sie bislang noch keine übermäßig positiven Erfahrungen gebracht. Hunde und Wölfe griffen teils friedliche Pferde aus dem Hinterhalt an und rissen ihnen das Fleisch von den Knochen, ohne dass es einen Grund dafür gäbe. Dieser hier aber sollte nicht einmal den Hauch einer Gefahr für sie darstellen. Er war vermutlich kaum mehr in der Lage, sich überhaupt noch selbst auf den Beinen zu halten. “Du musst versorgt werden.“ Ihre Worte waren nicht übermäßig freundlich, sondern geradezu etwas barsch. Wenngleich sie ein gewisses Mitleid für ihn verspürte, bedeutete dies für sie noch längst nicht, ihre kalte Maske abzulegen. Das würde sie auch trotz ihrer neuen Tätigkeit nicht tun. Mit wenigen Schritten trat sie an ihn heran und senkte ihren Kopf, um seine Wunden zu begutachten. Der Geruch des Blutes wurde nahezu unerträglich und sie konnte es nur ihrer großen Selbstbeherrschung verdanken, dass sie keinerlei Würgereiz verspürte. Doch dies war für den Moment nicht wichtig – sie war Heilerin und hatte sich um ihn zu kümmern, wenngleich sie nicht wusste, ob er überhaupt zur Herde gehörte. “Es wäre hilfreich, wenn du dich etwas anders hinlegst. Sonst kann ich mir die Wunden nicht richtig ansehen.“ Lin ging einfach davon aus, dass er sich helfen lassen würde.
Linette » 12.04.2014, 12:00 » Der Zaubergarten #1

Akatosh



Überraschend aufmerksam und gar interessiert lauschte sie seiner Erklärung. Diese war nicht gekennzeichnet von überragender Länge und beinhaltete vielmehr das, was sie auch bereits aufgeschnappt hatte. Aber es war gut, um ihre eigenen Informationen noch einmal zu bestätigen. Vielleicht war das, was man über diese Herde erzählte, tatsächlich nur ein großes Gerücht, was aus einem kunstvollen Netz von Lügen und Verwirrungen stammte. Es mochten sich noch so viele Individuen davon erzählen, alles könnte falsch sein. gerade bei Erzählungen, die von Mund zu Mund wanderten, bildeten sich Zuspitzungen, Übertreibungen oder ganz neue „Tatsachen“ heraus. Warum nicht auch hier? Für sie war es nur allzu schwer vorstellbar, dass es in diesem Reich höhere Mächte geben sollte. Viel zu sehr war sie von ihrem Pragmatismus und wohl auch in ihrer kleinen Welt gefangen, als das solche Dinge ihrem Geist vernünftig erscheinen würden. Andererseits wäre Magie nicht logisch und vernünftig. Wie sollte sie diese also so erkennen? Verwirrung schlug sich in ihren Gedanken nieder und somit schwieg sie für mehr als nur einige Wimpernschläge. Wenn es tatsächlich solche Pferde gab, dann könnten sie ihre Kräfte für Großartiges und Wunderbares nutzen. Sie dachte dabei nicht an solche Dinge wie die Heilung ihrer Selbst. Viel zu unwichtig war sie für dieses Universum, als dass sie es tatsächlich verdient hätte, ein gesundes Leben zu führen. Somit war es eben auch der Tod, den sie bevorzugen würde. Niemandem mehr könnte sie seelischen Schmerz zufügen und würde auch nicht mehr körperlich an ihrer Krankheit leiden. Aber diese Herde, sie könnte jenen helfen, die von dem tobenden Krieg betroffen waren. Schutz geben und Wunden versorgen, um tapfere Herzen nicht brechen zu lassen. Aber meist nutzen eben diejenigen, welche herausragende Fähigkeiten besaßen, diese nicht. Hätte sie nicht sonst schon von der Barmherzigkeit oder zumindest Unterstützung dieser Herde gegenüber anderen gehört? Linette war hin- und hergerissen zwischen dem, was sie von dieser Herde halten sollte. Aber wohl kaum könnte sie ein Urteil fällen, ehe sie dieser nicht begegnet war. Falls sie das jemals tun würde. Denn die Möglichkeit, dass Akatosh sie nur in die Irre hatte führen wollen, bestand noch immer. “Hm.“ So lautete ihre Antwort.

Immer mehr regte sich in ihr die Erleichterung über den vorherrschenden Kräuterduft, der nahezu alles überdeckte. Denn abermals war da dieser süßliche Geruch ihrer Rosse, der sich in die Luft absetzte und dort umherwaberte. Ein schierer Kampf zwischen herb und süß schien zu entstehen und die Orangerote hoffte nur allzu sehr, dass am Ende nicht viel davon zu Akatosh vordringen würde. Nur allzu deutlich stand ihr noch sein Verhalten vor Augen, als sie sich vor kaum vielen Stunden begegnet waren. Doch weiterhin wurde sie das Gefühl nicht los, dass er ihr vorerst nichts tun würde – aufgrund ihrer gemeinsamen Vergangenheit. Die Stute hatte es aufgegeben, diese ergründen zu wollen. Es schien beinahe so, als hätte sie zu ihrem eigenen Schutz selbst einen Schleier darum gelegt, um stets ihre Maske aufrecht erhalten zu können. Vielleicht war es eine schöne Vergangenheit gewesen, die sie an ihrem Fortgehen hätte zweifeln lassen. Somit war es wohl auch besser, wenn sie sich nicht weiter an der Erinnerung versuchte. Sonst würde sie vielleicht wieder weicher werden, all das vergessen, was ihr langes Alleinsein sie bis heute gelehrt hatte. Und das wäre nicht gut. Wenngleich es ihr für den Moment besser ging, so würden die nächsten Krämpfe schon bald zurückkehren. Und dann war es nicht gut, seinen eisernen Willen zu verlieren. “Warum genau bleibst du hier?“ grübelnd blickte sie ihn schließlich an und in ihrer Stimme schien förmlich Erschöpfung mitzuschwingen. “Von hier aus sollte es nicht schwer sein, die Herde allein zu finden. Und die Wahrscheinlichkeit, dass sie mir im Endeffekt helfen und dieser ganze Weg somit einen Sinn hatte, ist nicht allzu hoch.“ Leicht blähte sie Stute ihre Nüstern und wie zur Bestätigung schien es ihr, als würde der sachte Geruch fremder Körper zu ihr vordringen. Zwar aus einiger Entfernung noch, aber selbst in ihrem jetzigen Zustand könnte sie diese Entfernung recht rasch überwinden. “Ich habe nie etwas für dich getan, also ist das hier äußerst.. sinnlos.“ Lin wandte den Blick ab und schüttelte stattdessen ihren Kopf, sodass sich einige störende Strähnen von ihren Augen entfernten. Schon zu Anfang hatte er gehen wollen, also konnte er dies auch genau so gut jetzt tun. Es hatte kaum einen Sinn, hier herumzustehen und zu warten. Auf was auch immer. Vielleicht darauf, dass die Nacht vorüberging und die Sterne sich von dem dunklen Himmel entfernten, um für das strahlende Antlitz der Sonne Platz zu schaffen. Vielleicht auch nur darauf, dass sie jemand bemerkte und von allein auf sie zukam. Allerdings musste sie zugeben, auch die Chance dessen als äußerst gering anzusehen.

Langsam senkte die schlanke Stute ihren Kopf in Richtung Gras und zupfte vorsichtig einige Halme ab. Ein angenehmer Geschmack breitete sich in ihrem Mundraum aus, vor allem ein frischer Geschmack. Dieser bewies, dass der Winter vorübergezogen war und die Welt sich langsam erholte. Als noch die undurchdringliche Schneedecke über den Gräsern geruht hatte, war alles derart zäh und geschmacklos gewesen, dass sie kaum das Bedürfnis verspürt hatte, etwas davon zu sich zu nehmen. Nun aber bemerkte die Stute langsam, dass sich ein Gefühl des Hungers in ihrer Magengegend breit machte. Die Krämpfe verlangten jedes Mal einen strapazierenden Tribut, den sie zu zahlen bereit sein musste. Ansonsten würde sie in Hunger vergehen wie eine welkende Blume. Nicht nur einmal hatte sie darüber nachgedacht, diesem Bedürfnis einfach nicht nachzukommen und somit aus dieser Welt zu scheiden. Doch früher oder später hatten ihre natürlichen Instinkte sie übermannt und dafür gesorgt, dass sie doch wieder etwas zu sich genommen hatte. Vielleicht war das auch der einzige Grund, weshalb sie nicht schon längst tot war. Ihre Instinkte, die sich nicht abschalten ließen und die Führung übernahmen, wenn sie doch eigentlich so kurz vor ihrem angestrebten Ziel stand. Aber irgendwann wäre sie vielleicht stark und willens genug, dies zu ignorieren und doch endlich in eine Welt voller Schatten und Dunkelheit hinüberzugleiten.
Linette » 22.03.2014, 10:06 » Der Zaubergarten #1

Akatosh


Die Tatsache, dass sie ihm stumm hinterherstapfte, war nicht gleichzusetzen mit einer Beruhigung ihres Geistes. Ganz im Gegenteil. Er hatte in keinster Weise auf ihre Worte reagiert und dies sorgte nun nicht unbedingt dafür, dass die brodelnde Wut in ihrem Inneren verlosch. Aber wie auch immer. Es hatte wohl kaum einen Sinn, diesem versteinerten Sturkopf etwas entgegenzuwerfen, wenn er nicht einmal mehr darauf antwortete. So bedachte sie nur ihre gesamte Umgebung mit finsteren Blicken, während sie stillschweigend hinter Akatosh herging. Die Stute bemerkte durchaus die Veränderung der Natur, welche sich um sie herum vollzog. Einmal war es der Frühling, der seine tastenden Finger ausstreckte und den noch kalten Boden mit Leben erfüllte. Immer zahlreicher sprossen Blumen und kleine Schösslinge empor, das Gras erlangte einen gewissen Grad seiner grünen Farbe zurück. Allerdings waren die Spuren des Winters noch immer allzu deutlich zu erkennen. Grau und leblos wirkten die Überreste vieler Pflanzen und es war nicht zu leugnen, dass jene sich niemals wieder aufrichten würden. Die undurchlässige Schneedecke hatte ihren Tribut gefordert, wenngleich neues Leben in diese Welt zurückkehren würde – doch das brauchte Zeit. Auch bemerkte Lin, dass ihre Umgebung sich hinsichtlich der gesamten Beschaffenheit zu ändern schien, je weiter es sie vorwärts trieb. Vorher war da nur eine weite Ebene gewesen, eine Ebene voller Gras, kleiner Sträucher und vereinzelter Bäume. Inzwischen waren sie an einen Ort gelangt, welcher noch die Überreste von Menschen in sich barg. Zahlreiche aufeinandergestapelte Steine waren wohl einmal dafür da gewesen, unliebsame Besucher fernzuhalten. Von diesem Gebilde war inzwischen kaum noch etwas übrig. Auch andere Dinge wiesen darauf hin, dass hier früher einst diese Zweibeiner gelebt hatten. Doch die Orangerote könnte sie kaum alle benennen, so unterließ sie auch den Versuch dazu.

Leicht blähte sie ihre Nüstern, als fremde Düfte zu ihr vordrangen. Es waren nicht jene anderer Wesen, einer Herde, von der Akatosh wohl glaubte, dass sie hier verweilte. Vielmehr war es wohl eine Vielzahl von krautähnlichen Gewächsen, welche für diese Gerüche verantwortlich waren. Gleichsam herb und erfrischend wirkte die Luft dadurch, ein durchaus angenehmer Effekt. Sie wusste, dass man diesen Kräutern heilende Kräfte zusprach und dank der momentanen Situation konnte sie sich vorstellen, dass dies der Fall war. Denn zumindest beruhigte es ihren Geist. Als würde ein Sturm über dem Meer sich legen, flauten die Wellen der Wut in ihr ab und blieben zurück als unterschwelliges Drängen. Sie war sich dessen bewusst, dass eine unbedarfte Äußerung oder Handlung den Orkan in ihr jederzeit wieder zum Aufbrausen bewegen könnte. Für den Moment jedoch war dem nicht so und ein Gefühl der Erleichterung breitete sich in ihr aus. Es war anstrengend, die eigene Wut zu zeigen und gleichsam zu versuchen, die Maske aufrecht zu erhalten. Denn sie durfte sie nicht verlieren, nicht vor ihm – und die zierliche Stute wusste, dass sie recht kurz davor gewesen war. Anscheinend war er sowieso nicht der Meinung, dass ihr wahres Gesicht angenehmer und sanfter war als jenes, welches sie zeigte. Warum dann Schwäche zeigen, zu ihrem ursprünglichen Verhalten zurückkehren? Es würde ihr nur wieder Schmerzen bereiten, im Anschluss die Maske wieder aufzusetzen, wenn sie allein weiterzog. Und Linette war überzeugt, dass sie dies tun würde. Noch immer fand sie keine vernünftige Erklärung, weshalb diese Herde einer Fremden wie ihr helfen sollte. Sie hätten keinen Nutzen davon und ebenso wenig eine engere Verbindung zu Lin, die sie dies aus Freundschaft tun lassen würde. Es war einfach nicht.. logisch. Zu sehr hatte sie schon ihren Glauben an die gute Seele eines Wesens verloren, als dass sie noch darauf hoffen würde. Man würde ihr einfach sagen, dass man ihr nicht helfen könnte – ob dies nun tatsächlich der Fall war oder ob man sie nur loswerden wollte – und sie wieder fortschicken. Oder man würde einen Tribut fordern, den sie nicht erbringen konnte oder wollte. In jedem Fall war das, was sie sich ausmalte, nicht im geringsten positiv. Aus dem Grund verstand sie auch nicht, warum Akatosh sie hierher gebracht hatte und nun kurz vor dem Ziel verharrte. Aber wer wusste schon, was im Kopf dieses seltsames Kauzes vor sich ging. Immerhin erklärte er sich ihr ja nicht – und eigentlich musste er das schließlich auch nicht. Wenn sie schon an etwas glaubte, dann an den freien Willen jedes Individuums. Sie allein hatte entschieden, diese Maske zu tragen, um andere nicht zu verletzen. Sie allein hatte entschieden, alles zurückzulassen und allein durch die Welt zu ziehen. Sie allein. Vielleicht hatte auch er bedeutende Beweggründe.

Unbeweglich hatte sie während all dieser Gedankengänge da gestanden, gleich einer versteinerten Statue. Jetzt richtete sie ihre dunklen Augen auf den Hengst und betrachtete ihn für einige Wimpernschläge. Es war seltsam, so seltsam, mit jedem umherzuziehen, den man in gewisser Weise kannte und der dennoch ein Fremder war. Eigentlich war sie an eigenartige Umstände gewöhnt, doch das hier.. “Was genau ist das für eine Herde?“ Kein wütender Unterton schwang mehr in ihrer Stimme mit, aber ebenso wenig war sie geprägt von übermäßiger Sanftheit. Keines von beidem würde ihn dazu bewegen, mehr zu sagen, als nötig war. Und so konnte sie diese Anstrengung augenblicklich unterlassen. Allerdings hoffte die Orangerote, dass er ihr eine vernünftige Antwort geben würde. Sie selbst hatte bislang nur Gerüchte aufgeschnappt und hatte sich in ihrem einzelgängerischen Leben niemals intensiver mit den Herden dieses Reiches beschäftigt. Aber vielleicht hatte er mehr Informationen. Wenn er sie schon hierher brachte, damit ein Heiler sie zumindest einmal betrachtete, dann wollte sie auch wissen, wessen Blicke da auf ihr ruhten. Mit dem Gedanken, blindlings in eine ihr unbekannte Umgebung hineinzustolpern, konnte sie sich partout nicht anfreunden.
Linette » 14.03.2014, 16:08 » Die Wiesen #2

Akatosh


Der Umstand, dass ein nun etwas wärmerer Wind ihren schlanken Körper umspielte, sorgte für eine Fortführung ihres raschen Schrittes. Beinahe schien es so, als würden die etwas wärmeren Temperaturen ihre Muskeln wieder mit frischer Kraft versorgen, Kraft, die ihr bislang durch den eisigen Schnee entzogen worden war. Frühling. Für gewöhnlich würde – oder sollte - sie sich darüber freuen, denn nun würde ihr gesamtes Leben wieder einfacher werden. Frisches Gras würde aus dem Boden sprießen, Blumen würden sich gen Himmel schieben und die prachtvollen Farben ihrer Blüten voll entfalten. Eine schöne Zeit, eine sorglose Zeit, in der das Leben neu erstarkte. Ob dies nun in Form von Pflanzen oder von Fohlen geschah. Viele würden wohl geboren werden, wenn der Krieg dies nicht allzu sehr herabsenkte. Gewiss könnten liebende Paare zu sehr in Sorge sein, um sich an die Aufgabe zu wagen, ein junges Leben zu behüten. Aber niemals alle. Doch im Endeffekt war ihr dies egal. Lin erwartete kein Fohlen und sie würde wohl kaum je eines bekommen. Aus vielerlei Gründen. Zu sehr schottete sie sich von anderen ab, als dass ein Hengst auf den Gedanken kommen könnte, sie zu decken – auch wenn dies natürlich mit Gewalt geschehen konnte. Denn noch immer befand sie sich gewissermaßen in Gesellschaft von Akatosh und ihr Rosseduft wehte bereits wieder durch die Luft. Zu gut nur konnte sie sich den süffisanten Ausdruck auf seinem Gesicht vorstellen, wie er seine Nüstern blähte, während er hinter ihr lief. Abartig, absolut abartig, diese Hengste. Gesteuert von allerlei Trieben und dabei kaum fähig, einen nützlichen Gedanken zu fassen. Über nahezu die ganze Welt könnte die Orangerote sich in diesen Augenblicken aufregen, ganz egal, um was es sich im Speziellen handelte. Als dann auch noch seine Stimme von hinten ertönte, kochte ihre Wut beinahe über. “Das ist nicht nur mir völlig egal, sondern wohl auch jedem anderen.“
Du weißt doch gar nicht, in welche Richtung du gehen musst.
Wie kann man nur so unvernünftig sein?
Was, gerade noch einen Anfall gehabt und jetzt schon wieder so aufmüpfig?
Blöde Ziege.

So viele verschiedene Antworten seinerseits konnte Linette sich vorstellen und jede einzelne würde ihre Wut noch steigern. Vorwürfe, nichts als Vorwürfe. Inzwischen kam es ihr vor, als hätte sie niemals in ihrem Leben etwas anderes gehört. Nicht ein Wort des ehrlichen Lobes war bereits an ihre Ohren vorgedrungen, soweit sie sich erinnern konnte. Vielleicht in ihrer frühsten Kindheit, aber dies war nur allzu lange her.

Letztendlich verlangsamte die schlanke Stute ihre Geschwindigkeit und kam nach einigen weiteren Schritten zum Stillstand. Ihre Nüstern waren gebläht und all ihre Muskeln schienen beinahe zu zerreißen. Es war keine kluge Entscheidung gewesen, in diesem Zustand ein derartiges Tempo vorzugeben. Doch egal, niemanden würde dies interessieren. Mit einem nahezu düsteren Blick, in welchem das Unheil zu brodeln schien, blickte sie auf die Ebene vor sich. Natürlich hatte sie keine Ahnung, wohin sie gehen sollte, an wen sie sich wenden könnte. Eigentlich wollte sie auch keine Hilfe, von niemandem. Ebenso wenig wollte sie, dass der Frühling begann und ihr das Leben erleichtert wurde. Die Orangerote wollte nicht mehr leben, sie wollte in den eisigen Kälten des Schnees elendig sterben und niemals wieder in eine fleischliche Hülle zurückkehren. Zu lange versuchte sie schon, endlich in ihrem Tod zu entschwinden und sich von der schleichenden Krankheit zu befreien. Es wäre besser für alle. Sie hätte endlich nicht mehr die Notwendigkeit, eine Maske aufrecht zu erhalten, die sie nicht tragen wollte. Eine Maske, die eigentlich nur anderen den Schmerz ersparen sollte, ihnen aber vielmehr Vorhaltungen und Zorn entlockte. Warum überhaupt, warum führte sie dieses Leben noch? Es ging ihr nicht gut damit, sie litt nicht nur körperlich, sondern auch im tiefsten Inneren ihrer Seele. Sollte sie so etwas tatsächlich verdient haben? Vielleicht war sie nur ein wiedergeborenes Individuum, das in seinem vorherigen Leben schlecht gewesen war und aus diesem Grund nun dafür bestraft wurde. Doch dies war nur eine allzu unvernünftige Möglichkeit, welche Lin sogleich wieder verwarf. Man lebte nur einmal in dieser Welt und man starb nur einmal in ihr. Da gab es keine Wiederkehr, keinen Kreislauf, den sie vielleicht schon einmal durchlebt hatte. Ach, wäre doch alles einfacher, als es momentan war.

Linette hob ihren Kopf an und blickte hinauf in den dunklen Himmel, während der Wind sanft mit ihrer Mähne spielte. Dieser Augenblick der Stille schien ihr Gemüt etwas abzukühlen, wenngleich die Wut wohl bei jedem falschen Wort von Akatosh wieder aufbrodeln würde. Und dann sollte er sich auf etwas gefasst machen. Eigentlich hatte er nicht mehr getan, als ein paar wenig freundliche Aussagen zu verlieren. Und das hatten schon viele getan, es war für sie keine Besonderheit mehr. Dennoch machte er sie wütender als alle anderen, was vielleicht daran lag, dass sie noch immer seine Rolle in ihrem eigenen Leben nicht kannte. Statt dass er einfach einmal sagte, was er hier tat, was sie beide verband. Die Stute glaubte nicht, dass sie es jemals herausfinden würde, wenn er es ihr nicht mitteilte. Es war doch zum Verzweifeln, wusste sie langsam nicht mehr, was sie noch tun sollte. Was schon war ihre Bestimmung in dieser Welt? Seit Jahren schon zog sie allein umher, verhielt sich entsprechend ihrer Maske, um niemanden mit ihrer Krankheit Schmerzen zuzufügen. Und weiter? Da war nichts, denn letztendlich wartete sie nur auf ihren eigenen Tod. Vielleicht war dies ihr einziger Sinn, das schier unendliche Warten auf etwas, das nicht eintreten wollte. Lin konnte nicht einmal erahnen, wie lange sie sich vielleicht noch quälen würde. Und dabei war ihr Wunsch doch eigentlich recht einfach.



Gerne. smilie
Linette » 27.02.2014, 20:12 » Die Wiesen #2

Akatosh


“Auch gut.“ war ihre überaus trockene Antwort auf eine Aussage seinerseits, die vielleicht durchaus etwas mehr Emotion in ihr hätte wecken können. Immerhin war seine Stimme von einem gewissen Klang behaftet, bei dessen Interpretation sie ein Gefühl von Traurigkeit nicht auszuschließen vermochte. “Dementsprechend herzlichen Glückwunsch, du kannst dir diesbezüglich wohl mit vielen die Hand reichen.“ Es kümmerte sie nicht. Schon immer hatten jene, denen sie wiederbegegnet war, Vorwürfe gemacht. Selbst die, welche sie verlassen hatte, hatten es in dem Augenblick getan. Der Vorwurf, dass sie einmal vollkommen anders gewesen war und sich nicht zum Guten gewendet hatte, war schon des Öfteren in ihren Ohren gehallt. Ein wenig begeistertes Schnauben entwich ihr und sie schlug nahezu etwas aufgebracht mit dem Schweif. Sie hatten doch keine Ahnung. Niemandem hatte sie je erzählt, weshalb sie sich so geändert hatte – beziehungsweise warum sie diese Maske trug. Nicht einmal das wusste jemand, dass dies nicht ihr wahres Ich war, sondern einer Verkleidung glich. Nur ihre Mutter, ihre liebe Mutter hatte es gewiss erahnt. Und doch nichts gesagt, um ihrer Tochter zumindest ein klein wenig den Rücken zu stärken. So sehr hätte sie sich dies nur einmal von ihr gewünscht, Unterstützung zum rechten Zeitpunkt. Aber so würde man gewiss nur schlecht über sie reden, gar den kleinen Fohlen von jener Stute erzählen, die einmal Teil der Herde gewesen war. Jene Stute, die alle verlassen hatte, um sich in ihrer abscheulichen Arroganz zu suhlen und dabei jeden im Stich zu lassen. Pah! Das hatte man nun davon, wenn man andere davor bewahren wollte, seelischen Schmerz zu empfinden. Schuld wäre sie nämlich auch gewesen, wenn sie da geblieben wäre. Hätte ihr jemand sein Herz geschenkt, so hätte er furchtbare Qualen erlitten, wenn sie gestorben wäre. Und dann hätte man gesagt, dass sie hätte gehen sollen, um niemanden zu verletzen. Es war wie immer, so sehr sie ihr Leben und alle darin vorkommende Situationen auch drehte und wendete, zum Schluss war sie immer ein Inbegriff des Schlechten. Und nun diese Begegnung mit Akatosh, den sie nicht einmal wirklich zuordnen konnte und der auch keine allzu große Hilfe dabei war, in diesem Prozess einen Schritt vorwärts zu tun. Erst machte er ihr Vorwürfe, dann kümmerte er sich nahezu liebvoll um sie und nun ließ er wieder einen eiskalten Widerling heraushängen. Ach, und diese gesamte Situation, sie trieb den Wahnsinn in ihr Hirn! Mit jedem Wort, welches ihre Gedanken formten, kochte langsam die Wut in ihr hoch. Wut darüber, dass sie sich ihr Leben niemals hatte aussuchen können. Hätte sie die Wahl gehabt, hätte sie sich wohl kaum selbst eine derartige Krankheit auferlegt. Aber so hatte sie versucht, das Beste daraus zu machen – wie jedoch dankte man es ihr? Mit Vorbehalten und Abweisung. Linette war sich schon immer bewusst gewesen, dass diese Welt keine reinen Gefühle des Positiven beinhalten konnte. Selbst wenn eine Handlung im gut gemeinten Sinne begangen wurde, bestrafte man das entsprechende Individuum. Was sie auch tat, immer würde es für jemanden falsch sein. Wie selten nur hatte sie je ein Wort des Lobes gehört, wie oft schon hatte man sie behandelt wie Akatosh jetzt. Ja, Akatosh, der mit seinem stur-dümmlichen Blick nach vorn glotzte wie ein Tier ohne jeglichen Verstand und anscheinend nicht Hengst genug war, um auch nur ein einzig klärendes Wort an sie zu verschwenden. Weshalb hatte sie sich doch gleich die Mühe gemacht, sich selbst zu erklären? Es war sinnfrei gewesen und hatte keinerlei positive Auswirkungen besessen. So gern würde sie nun in den dunklen Nachthimmel hinausschreien und einfach erklären, warum sie so war. Dass sie eigentlich etwas Gutes hatte tun wollen, es aber von Jedem falsch interpretiert wurde.

Die zierliche Stute blieb ebenso ruckartig stehen, wie der Fuchs vor Kurzem seine Richtung geändert hatte. Ihre dunklen Augen schienen von einem wütenden Funkeln durchzogen und wirkten wie ein brodelndes Gewitter, welches sich in jedem Moment entladen könnte. “Ihr macht mich doch alle wahnsinnig.“ stieß sie hervor, eine Mischung aus Murmeln und Sprechen, aus Eigengespräch und gerichteten Worten. Jede Regung, die in ihren Augen falsch war, würde wohl das Fass zum Überlaufen bringen. Egal, wer diesen Fehltritt wagte. Ein völlig fremdes Individuum könnte in diesem Moment an sie herantreten und wäre dessen Stimme nur ein wenig zu seltsam, so würde sich all ihre angestaute Wut über dieses Wesen ergießen. Wut, die sich über die Jahre hinweg geballt hatte zu einer mächtigen Wolke, welche niemals durch ein Ventil hatte entschwinden können. Wie auch? Niemals war jemand da gewesen, dem sie von all dem hatte erzählen können. Immer, wenn sie gehofft hatte, jemanden gefunden zu haben, dann waren da wieder diese Vorwürfe gewesen. Immer und immer wieder hatte man mit überaus harten Worten auf sie eingedroschen wie auf ein unliebsames Ding, dessen Zerstörung das absolute Ziel war. Lins Nüstern schienen förmlich zu beben, während sie aufgebracht den Boden anfunkelte, um sich nicht verbal auf den Hengst zu stürzen. Das würde sowieso nur dazu führen, dass er förmlich zurück zickte und sich niemals wieder ein vernünftiges Gespräch ergab. Meine Güte, war es denn so schwer, ihr einmal zuzuhören und sie zu verstehen?

Nach nur wenigen Wimpernschlägen setzte die Orangerote sich wieder in Bewegung und marschierte beinahe im Stechschritt an dem Fuchshengst vorbei. Dabei war es ihr gleich, wie sehr ihre Muskeln unter dieser Anspannung bebten und dem Gefühl nach schier zu zerreißen drohten. Wenn sie ihre Anspannung jetzt nicht in körperliche Energie umwandelte, dann würden ihre nahezu boshaften Worte tatsächlich auf Akatosh niederprasseln. Aber er wäre auch selbst Schuld, warum auch blieb er bei ihr, wenn er sie nicht leiden konnte? Wenn er sie nie richtig gekannt hatte, wie er es so schwer melancholisch ausgedrückt hatte? Zu gern nur hätte sie endlich Allem freien Lauf gelassen, aber noch hielt Linette sich zurück. Stattdessen lief sie einfach weiter, immer in eine unbestimmte Richtung. Aber der Hengst hatte diesen Weg gewählt, also würde dann schon irgendwas sein. Und wenn nicht, was sollte dann schon passieren? Dass sie eine neue Gegend entdeckte, in der nur weitere Pferde darauf warteten, sie zu beschuldigen? Es war ihr mit reiner Absolutheit egal und ändern würde es an ihrer Gesamtsituation sowieso nichts – sie würde sterben, früher oder später, und dann war es endlich vorbei. Dann wäre sie nur noch eine unruhige, bösartige Seele, welche durch fremde Gefilde streifte. Vermutlich eine Art Hölle, anderes hätte sie nach der Meinung Anderer ja gewiss niemals verdient.
Linette » 27.02.2014, 17:43 » Die Wiesen #2

Akatosh


Einer völlig natürlichen Reaktion entsprang es, dass ihr die Ohren beinahe in den Nacken zuckten, als er sie derart anfuhr. Anders erwartet hatte sie es nicht, war eine derartige Reaktion doch von ihr provoziert worden. Dennoch. Langsam machte der raue Ton, welcher beständig zwischen ihnen vorherrschte, ihr zu schaffen. Wenn sie in der Vergangenheit miteinander verbunden gewesen waren, so sollte ein anderer Umgang doch im Rahmen des Möglichen liegen. Andererseits konnten sie durchaus auch eine feindselige Beziehung gehabt haben, dann wäre seine Reaktion für sie eher nachvollziehbar. Außerdem verhielt Linette sich nicht unbedingt so, dass ein freundlicher Ton seinerseits zu erwarten war. Beinahe entwich ihr abermals ein Seufzen, doch sie hielt es zurück. Vielleicht war es besser, wenn sie sich einfach umwandte und davonging, Akatosh würde es gewiss nicht stören. Sie konnte sich nicht vorstellen, dass er nur einen Blick zurückwerfen würde. Und dann wäre ihr Leben so wie vorher. Allein würde sie umherziehen, niemanden an ihrer Seite, mit dem sie auch nur eine banale Konversation führen könnte. Die Einsamkeit hatte beständig dazu geführt, dass sie ihre Maske weiter aufgebaut und sich somit weiter von Anderen abgeschottet hatte. Kam es eben zu Begegnungen wie dieser, waren ihre Sticheleien kaum mehr wegzudenken. Ihre sozialkommunikativen Fähigkeiten waren nahezu verkümmert und der Gedanke, eine Situation einfach freundlich zu gestalten, schwebte ihr nicht mehr durch den Verstand. Für sie beruhte alles auf Misstrauen und dem Umstand, dass niemand auf dieser Welt ihr Freund war. Nicht ihr Freund werden durfte. Die Tatsache, dass sie andere von sich hatte fernhalten müssen, hatte Lin belastet. Und dennoch gab sie ihre Haltung nicht auf. Für den Moment aber schwieg sie, gab keine provokante Antwort, die ihn vielleicht zu einer unbedachten Handlung getrieben hätte. Was hätte das auch für einen Sinn? Mit einem Mal kam ihr ihrer beider Verhalten derart sinnfrei und fehl am Platz vor, ebenso wie dieses ganze Gespräch. Inhalt und Art, wie sie es führten, schienen einfach nicht richtig. Leicht schüttelte die zierliche Stute über diese gar plötzliche Anwandlung den Kopf und wusste langsam nicht einmal mehr, was sie von sich selbst halten sollte. Fakt war, dass sie ihre Maske aufrecht erhalten musste, um jeden Preis.

Eine unausgesprochene Frage stand in ihrem hübschen Antlitz, als er eine abschließende Antwort gab und weiterging. War dies nun, um sich von ihr zu entfernen oder um sie zu besagter Herde zu führen. Hat der Krampf dir den verstand zertrümmert? ‚Ob sie dir helfen können, siehst du dann.‘ Natürlich. Würde er vor ihr weglaufen, dann hätte er sich anders ausgedrückt. Weglaufen. Ein interessanter Gedanke, den sie gewillt war fortzuführen, während sie ihm folgte. Anstrengung durchzog dabei ihren gesamten Körper und wieder einmal spürte sie, welchen Tribut doch jeder dieser Krämpfe forderte. Was war, wenn er tatsächlich vor ihr weglaufen wollte? Durchaus konnte sie sich vorstellen, dass gerade ihre Worte vor dem Anfall etwas in ihm bewegt hatten. Doch was? Hatten sie ihn verletzt, so wütend gemacht, dass er fortging, um sich nicht an ihr zu vergreifen? Sie stierte den hochgewachsenen Hengst förmlich an, während sie etwas hinter ihm lief. Alles würde wohl einen Sinn ergeben, wenn der Nebel um ihre Erinnerung sich endlich lichten würde. Aber derart leicht wollte das Schicksal es ihr recht offensichtlich nicht machen. Sie musste eine Bedeutung für ihn haben, sonst wäre er nicht in plötzlicher Sanftmut bei ihr geblieben, als sie sich am Boden gewunden hatte. “Anscheinend kanntest du mich mal besser als ich mich selbst..“ murmelte sie leise, ein Gedanke, welcher ihr förmlich in den Geist gesprungen war. Sie hatte dies nicht unbedingt laut aussprechen wollen, aber nun war es zu spät – sie konnte auch ebenso weiterreden. “Sicher würde mich interessieren, wen du einmal gekannt hast. Aber du würdest es mir wohl kaum verraten.“ ‚Wen‘, dies war auf sie bezogen. Linette war sich bewusst, dass sie einmal völlig anders gewesen war. Wenn sie wüsste, mit welchen Augen er sie damals gesehen hatte, könnte sie ihn vielleicht auch besser einschätzen. Abermals schüttelte die Stute über sich selbst den Kopf. Die Worte quolen aus ihrem Mund wie ein schäumender Bach, über den sie kaum Kontrolle hatte. Vielleicht war es die durchgehende Einsamkeit, in welcher sie die letzte Zeit verbracht hatte, die sie mit einem Mal derart viel reden ließ. Ihm würde das gewiss nicht gefallen und bei ihr selbst war das auch der Fall. Vielleicht sollte sie noch eine stichelnde Bemerkung nachschieben, um ihn nicht glauben zu lassen, sie wäre wieder wie früher. Aber im Endeffekt ließ sie es bleiben. Momentan war Lin erst recht nicht in der Lage, sich gegen einen Angriff seinerseits zu verteidigen.

Für einen Moment warf sie einen Blick zurück auf die Stelle, an welcher sie sich vor Kurzem noch befunden hatten. Ein dunkler Fleck am Boden markierte den Punkt, an dem sie sich gewunden hatte in fürchterlichen Qualen. beinahe strauchelte sie erneut und wandte ihre Augen somit wieder nach vorn oder besser gesagt nach unten. Weiß in weiß war der Boden, nur an einigen Stellen schimmerten dunkle Dreckkrummen hervor und gaben dem Ganzen einen natürlicheren Anblick. Eine rein weiße Welt wäre auf Dauer wohl kaum zu verkraften. Schien dann auch noch die Sonne, so würde die Strahlung fürchterlich in den Augen stechen, wenn man auch nur zu lange hinsah. Von sonderlicher Motivation erfüllt fühlte die Rotorangene sich nicht, wusste sie doch auch nicht, welchen Weg sie nun gingen. Nicht die geringste Vorstellung besaß sie davon, wo diese Herde sich befinden sollte. Ob er selbst es wohl wusste? Vielleicht führte er sie auch einfach in ein unbekanntes Gebiet, welches nicht den geringsten Zusammenhang mit diesen Pferden besaß. Dann wäre sie verloren. Weshalb folgst du ihm auch derart blindlings?
Linette » 26.02.2014, 17:49 » Die Wiesen #2

Akatosh


Ihre Ohren zuckten, als er das Wort ‚Magie‘ aussprach. Sicher, von dieser Herde hatte sie bereits gehört – und ihre Meinung dazu war zwiegespalten. Gewiss war Magie gut, wenn sie von einem geeigneten Individuum angewandt wurde. Gerade Heilung oder derlei Dinge konnten wohl viele Leben retten, wenn man diese Magie tatsächlich beherrschte. Aber andererseits.. wegen Magie konnten Kriege ausbrechen, mit ihr konnten sie geführt und durch sie auf gute oder grausame Weise beendet werden. Wenn es nur ein einzelnes Wesen gab, das seine Fähigkeiten missbrauchte, so konnte alles vorbei sein. Allerdings war letztendlich zweifelhaft, ob jene Geschichten, welche sie über diese Herde gehört hatte, wirklich wahr waren. Vielleicht hatte nur ein Mitglied jemandem mit einem speziellen Kraut geheilt, von dem nicht viele wussten. Und eben dieser Geheilte hatte anschließend ein Gerücht in die Welt gesetzt, welches von Mund zu Mund gewandert und dabei verfälscht worden war – wenn auch unabsichtlich. Zudem, wenn sie nun einmal davon ausging, dass diese Herde Magie praktizierte, würde man ihr dort einfach so helfen? Schließlich war sie eine völlig Fremde und hatte niemals etwas für diese Pferde getan. Diese Welt lebte nicht von reiner Dankbarkeit und Milde, das hatte sie bereits gelernt. Vor langer Zeit. So murmelte sie nur etwas Unverständliches hinein, selbst kaum entschlossen, was sie letztendlich von diesem Vorschlag halten sollte. Diesem Fuchs einfach zu einer Herde folgen, die vielleicht nur ein Gerücht war und dabei im Endeffekt doch von ihm angegangen werden? Keine sonderlich rosige und sichere Aussicht, wenn sie es einmal so formulieren sollte. Unentschlossenheit riss sie innerlich umher und konnte sich nicht dazu verführen lassen, aus ihrem Geiste zu verschwinden. Allerdings schien der Hengst, von ihrer Antwort nicht unbedingt angetan, ihr die Entscheidung förmlich abnehmen zu wollen. Ein Seufzen entwich ihrer Kehle und stieg als weiße Wolke in die Luft hinauf, um sich dort zu verflüchtigen. Es war nicht unbedingt ein Seufzen in Anbetracht seiner hitzköpfigen Reaktion, sondern vielmehr eines, mit welchem sie sich selbst schalt. Er hatte ihr geholfen, ihr freiwillig Kräuter gebracht, als sie sich in Krämpfen vor ihm auf dem Boden gewunden hatte. Eine gewisse Dankbarkeit wäre wohl durchaus angebracht.

So kam es, dass Linette ihm mit zittrigen Beinen hinterherstapfte. Unsicher wirkte ihr Schritt, was noch durch den Schnee verstärkt wurde. Nur allzu undeutlich konnte man Unebenheiten am Boden erkennen und so kam es, dass sie einmal stolperte und beinahe wieder hinabstürzte. Glücklicherweise fing sie sich noch im letzten Augenblick, verharrte, atmete tief durch. Immer diese Krämpfe, mit jedem Mal raubten sie ihr ein Stück mehr ihrer Kraft und ließen sie wirken wie ein unbeholfenes Fohlen. In gewisser Weise verletzte dies auch ihrem Stolz, nahmen ihr diese schwankenden Bewegungen doch einen Teil ihrer Würde. Aber genug mit dem Herumstehen und Abwarten – sein Schritt war nicht derart kraftlos wie der ihrige. Wenn sie sich nicht weiterbewegte, so würde sie ihn niemals einholen. Es kostete die zierliche Stute jene Kraft, welche sie in den letzten Minuten nur mit Mühe hatte sammeln können, ihn einzuholen. Diese Urgewalt von Hengst könnte sie wohl kaum durch einige Worte oder einen zarten Stupser mit ihren Nüstern zum Stillstand bewegen. Zu sehr würde er gewiss von ihren vorherigen Aussagen verärgert sein, sodass sie sich, getrieben von reiner Pragmatik, einfach gegen seine Seite warf und versuchte, ihn zumindest ein Stück weit abzudrängen. Das würde ihn hoffentlich dazu bringen, nicht davonzustiefeln wie ein Wahnsinniger. Noch immer erschöpft von ihrem Anfall ging ihr Atem bereits nach dieser Anstrengung schneller, sodass sie im ersten Augenblick lediglich mit den Ohren schnippen konnte, um den Unterton ihrer folgenden Worte zu unterstreichen. “Und ich dachte schon, ich wäre hitzköpfig.“ begann sie schließlich und blähte im Anschluss ihre Nüstern, damit mehr Sauerstoff in ihre Lungen strömen und damit ihren Herzschlag etwas beruhigen konnte. Vielleicht war eine Möglichkeit, dem Tod entgegenzukommen, auch, nach einem der Krampfanfälle herumzurennen, als wäre ein Dämon hinter ihr her. Vermutlich würde ihr Herz in einem Augenblick einfach aufhören zu schlagen und alles wäre vorbei. Sollte ich beim nächsten Mal vielleicht ausprobieren. Beinahe hätte sie bei diesem Gedanken gelacht.

“Du solltest es wirklich mit Anerkennung betrachten, dass ich dir hinterher stolpere wie ein unbefähigtes Fohlen. Wenn du mich so gut kennst, dann wird dir das aber sicher bewusst sein.“ Diesen stichelnden und in gewisser Weise gar bissigen Kommentar konnte sie sich gewiss nicht verkneifen. Noch immer wusste Lin nicht, wen genau sie da vor sich hatte. Akatosh. Ja, aber wer genau war Akatosh und welche Rolle spielte er für ihre Vergangenheit? Der Schleier um ihr Gedächtnis mochte sich einfach nicht zerreißen lassen. Sie schnaubte, blickte derweil unnachgiebig mit zusammengekniffenen Augen zu ihm auf. “Diese Welt hat mich gelehrt, dass jeder einen Nutzen aus etwas ziehen will. Und bevor du mir nicht mit reiner Eindeutigkeit das Gegenteil beweist, werde ich auch dich so einschätzen.“ setzte sie schließlich an und verspürte bereits jetzt die boshafte Vorahnung, dass ihre Worte ihm sicher nicht gefielen. “Du nanntest mich eine zickige und sexuell vernachlässigte Nervensäge, die sich in ihrer aufgesetzten Überheblichkeit badet.“ Wort für Wort wiederholte sie, was er vorhin zu ihr gesagt hatte. “Nun denn, will ich doch einmal vernünftig reden. Du hast mir geholfen also kann ich wohl für einen Moment meine überaus herausstechende Arroganz vergessen und dir eine ehrliche Antwort geben.“ Bewusst legte sie die Betonung auf jenen Teil, welcher ihre Arroganz betraf. Nicht, dass sie ihm seine Aussage wirklich übel genommen hätte – schließlich war diese Eigenschaft Teil jener Maske, welche sie sich selbst ausgesucht hatte. Aber ein teil von ihr war wohl immer noch der Meinung, dass man ihn weiterhin reizen müsste. Vollends vernünftig war sie noch nie gewesen. Auch nicht früher. “Ich denke nicht, dass mir diese Magie helfen wird. Viele haben sich an meiner Krankheit versucht und es ist wohl mein Schicksal, daran zu sterben. Damit habe ich mich abgefunden, wenngleich auch in anderer Weise, als es vielleicht richtig war. Außerdem weiß ich nicht, was ich von den Erzählungen über diese Herde halten soll. Aber du hast mir das Angebot gemacht, mich dorthin zu bringen. Sollte es noch gelten, so werde ich es annehmen und damit zeitgleich wohl doppelt in deiner Schuld stehen.“ Linette wusste nicht, warum genau sie dies sagte – sie hatte bereits viele Dinge getan, deren Sinn sie selbst nicht hatte erraten können. Aber er hier hatte ihr Kräuter gegeben, war bei ihr geblieben, wenngleich sie ihn vorher derart provoziert hatte. Was auch immer ihre Geschichte in der Vergangenheit gewesen war, sie musste ihm noch wichtig sein. Auch wenn die zierliche Stute war, dass er das nie zugeben würde. Trotz seiner Aussagen, seinem gar aggressiven Verhalten war er geblieben und zeitweilig hatte sie gar geglaubt, eine gewisse Sanftmut in seinen Zügen zu erkennen. Zu gern nur würde sie wissen, wer genau er war, was hinter dieser Maske steckte. Denn Linette war sich sicher, dass auch er eine trug – oder dass er zumindest einmal anders gewesen war. Es würde einen Grund dafür geben und obgleich sie wohl letztendlich im Streit auseinander gehen und sich niemals mehr sehen würden, so hatte sie ihm eine ehrliche Antwort doch geschuldet. Aber vermutlich würde das nicht viel ändern.
Linette » 22.02.2014, 17:30 » Die Wiesen #2

Akatosh


Zumindest eines ihrer Leiden war endlich vorbei, hatte sich aufgelöst wie ein fliehender Schatten. Linette spürte, wie der letzte Hauch ihrer Rosse sich im Wind verfing, weit fortgetragen wurde und niemandem mehr den Geist vernebeln würde. Ein Seufzen entwich ihrer Kehle, gleich einem Ausdruck der Erleichterung – und dies, obwohl die Krämpfe noch immer nicht vorbei waren. Jedoch bemerkte sie mit jedem Augenblick, dass das Erzittern ihres Körpers schwächer, sie immer mehr Herrin ihrer eigenen Muskeln wurde. Nahezu regungslos lag sie im Schnee, der weißen Decke, die vielleicht bald ihr Todesgrab sein würde. Zumindest, wenn sie noch länger hier lag. Doch für den Moment besaß sie nicht die Kraft, sich zu erheben und allmählich aufkommende Scham über ihren Zusammenbruch vor einem Fremden zu empfinden. Falsch, kein Fremder. Inzwischen war die Orangerote sich völlig im Klaren darüber, dass er sie kannte und sie ihn. Noch immer vermochte sie den Schleier der Unwissenheit nicht vollends zu durchdringen, doch der Klang seines Namens hatte sie einen bedeutenden Schritt vorwärts tun lassen. Akatosh. Sie wiederholte ihn im Geiste, hoffte, dass es sie noch einmal zurückbringen würde in ihre eigenen Erinnerungen. Doch bedauerlicherweise war dem nicht so.

Mit geschlossenen Augen verfolgte sie das Abebben der wallenden Krämpfe, spürte zugleich auch eine sich ausbreitende Wärme in ihrem Körper. Diese schien sich mit sanften Fingern um Stellen zu schließen, die noch immer von Krämpfen zusammengepresst wurden. So gut konnte sie sich die lockenden Stimmen vorstellen, mit denen diese Wärme die Krankheit dort hervorholte und in unschädliche, pochende Schmerzen verwandelte, die im Vergleich kaum wahrzunehmen waren. “Zumindest für diesen einen Moment tun sie das.“ gab die zierliche Stute als Antwort zurück, während jedoch eine gewisse Bitterkeit in ihrer Stimme mitschwang. Durchaus kannte sie Kräuter, die den Schmerz der Krämpfe etwas milderten, sie erträglicher machten. Doch derlei Pflanzen wirkten nur bei einem einzelnen Anfall, jedes Mal aufs Neue müsste sie etwas davon finden und doch würde es nicht die Krankheit an sich besiegen. Viel lieber würde sie endlich diese Welt verlassen, statt ihre irdischen Schmerzen weiterhin ertragen zu müssen. Allerdings würde der Vorschlag, den der Hengst im nächsten Augenblick machte, nicht zur Erfüllung dieses Wunsches beitragen. Unsicher stemmte die Füchsin statt einer Antwort die Hufe in den Boden und bemühte sich darum, wieder auf ihren eigenen Beinen zu stehen. Noch immer zitterte ihr gesamter Körper, doch nun waren es keine Krämpfe. Vielmehr lag dies an der durchdringenden Kälte und der Schwäche, welche ihr Anfall mit sich gezogen hatte. Oft genug aber hatte sie all das schon durchlebt, als dass sie nun einfach aufgeben würde. Hartnäckig spannte Lin all ihre Muskeln an, keine angenehme Erfahrung, mehr ein reißendes Gefühl. Es war beinahe so, als würde man einen ungeheuren Muskelkater haben, der jede Bewegung äußerst unangenehm machte. Gar ihre Kiefer presste sie derart fest aufeinander, dass man unter dem leuchtend roten Fell nur allzu deutlich die Spannung erkennen konnte. Unwillkürlich entfloh ein Ächzen ihren Lippen und ein schierer Ruck ging durch den schlanken Körper, als sie eine letzte Barriere überwand und schließlich schwankend zum Stehen kam. Ihre Beine fühlten sich an wie die eines Neugeborenen und würde sie hinabsehen, so könnte sie vermutlich ein deutliches Zittern erblicken. Aber für den Moment musste die Stute sich auf einen einzelnen Punkt fixieren, um nicht das Gleichgewicht zu verlieren und wieder auf den Boden zu stürzen.

Tief sog sie die kalte Winterluft in ihre Lungen. Sie war stark und die Kraft, welche sie zumindest für einen angemessenen Stand benötigte, würde rasch zurückkehren. Doch nun war es wohl an der Zeit, dass sie sich dem Vorschlag des Fuchshengstes widmete. Bereits einige Momente des Schweigens waren verstrichen und sie war ihm wohl eine Antwort schuldig. Auch wenn sie ihn in keinem Fall verstand. “Ich glaube kaum, dass ein anderer Heiler mir helfen könnte. Glaub mir, du weißt nicht, wie viele sich bereits daran versucht haben.“ Es war nicht nur dies, was sie von einer anderen Antwort abhielt. Linette schwebte in einem Zwiespalt, was Herden betraf. Einerseits misstraute sie geradezu jedem Fremden und würde nur allzu ungern jemanden an sich heranlassen. Aber tief in ihr war auch ein Wunsch nach Gemeinschaft und Vertrauen verborgen, so ungern sie dies auch zugab. Schon lange hatte sie niemanden mehr an ihrer Seite gehabt, dem sie von ihren geheimsten Ängsten und Hoffnungen erzählt hatte. Aber sie wusste, dass sie niemals einer Herde beitreten konnte, wenn sie sich nicht abermals vollkommen wandelte. Bewusst hatte sie sich selbst diese Bürde einer Maske auferlegt, eine Maske, die Andere vor einem seelischen Zusammenbruch schützen sollte. Niemand sollte so nahe an sie heran, dass er durch ihr Leiden oder gar ihr unvorbereitetes Dahinschreiten zutiefst verletzt werden sollte. Niemand. Niemals. Nur deshalb war sie so geworden, nur deshalb hatte sie nicht vor, jemals wieder einem Wesen ihr Herz zu schenken. Es war sinnfrei und das wusste sie. So blieb auch weiterhin ihre dickköpfige Haltung bestehen, die mit ihren folgenden Worten abermals zum Ausdruck kam. “Außerdem.. was würde es dir schon bringen? Schon die Tatsache, dass du mir diese Kräuter gebracht hast, ist für mich nicht nachvollziehbar. Aber mir nun noch so helfen zu wollen.. in meinen Augen gibt es keinerlei Nutzen, den du daraus ziehen könntest.“ Für einen Augenblick sah sie zu ihm hinauf, eine Mischung aus Misstrauen, Verwirrtheit und gar etwas Angst in ihrem Blick. Er war seltsam, er war ebenso seltsam wie sie und dies kam nicht häufig vor. War da nicht doch irgendwo ein Plan, der sich allmählich in seinem Hinterkopf zusammenbraute und irgendwann in die Tat umgesetzt werden würde? Vielleicht war es besser, wenn ihre Wege sich nun trennten – auch, wenn es dumm war, in ihrem Zustand allein umherzuziehen.
Linette » 14.02.2014, 19:18 » Die Wiesen #2

Akatosh


Mit einem Mal wurde es kalt, so kalt. Denn ihr zierlicher Körper glitt hinab in den Schnee, dabei gestützt von den Muskeln des Fuchses. Beinahe fühlte es sich an, als würde das kalte Weiß sich augenblicklich in ihren Körper nagen, auf leisen Sohlen den letzten Rest Wärme stehlen. Nein, sie musste.. Linette stemmte ihre Hufe in den Boden und bemühte sich mit aller Kraft, wieder aufzustehen – doch es gelang nicht. Erschöpft als hätte sie soeben einen weiten Weg in Windeseile hinter sich gelassen, sackte sie wieder zurück auf den Boden und war kaum mehr als ein Haufen aus Fell und Knochen. Ein bebender Haufen, dessen groteske Bewegungen kaum mehr mit denen eines gesunden Wesens gleichzusetzen waren. Stets zuckte etwas unter dem rotorangenen Fell, ließ kleine Beulen auftauchen, rief unkontrollierte Reaktionen hervor. Vielleicht hatte sie Unrecht gehabt und es würde noch schlimmer werden, als sie geglaubt hatte.

Kaum konnte sie die Augen öffnen, als der Hengst von dannen ging und rasch aus ihrem Sichtfeld verschwand. Was tat er, wo ging er hin? Es dauerte einige Zeit, bis seine Worte schließlich ihren Verstand erreichten und eine Art Erleichterung in ihr auslösten. Er ließ sie also nicht im Stich. Warum nur ist das für dich von Interesse? Du traust ihm nicht einmal und wenn du ehrlich bist, hast du sogar Angst vor ihm. Warum hoffst du, dass er dich nicht verlässt? Die Stute ignorierte diese Gedankenstimme und streckte mühevoll ihren Hals, gab dabei einen erschöpften Laut von sich. Schließlich lag ihr Kopf mehr oder minder eben auf dem Boden, ein weitaus angenehmeres Gefühl, als noch gekrümmter dazuliegen. Die Mähne klebte ihr in wirren Strähnen am schweißnassen Fell und nur vereinzelt erreichten die rötlichen Haare den Boden. Immer mehr kroch die Kälte ihr in die Glieder, der Wind fauchte erbarmungslos über ihren ausgezehrten Körper hinweg. Sie war erniedrigend, diese gesamte Situation. Während der Geruch ihrer Rosse noch immer niederträchtig in den Himmel waberte, lag sie als reiner Anblick des Elends auf dem Boden und konnte sich kaum rühren. Zu allem Übel kehrte nun auch noch der Fuchs zurück, ließ einige Kräuter auf die Stelle direkt vor ihrer Nase fallen. Lin blähte die Nüstern und sog tief den Duft der Pflanze ein, zu tief, sodass ein kränkliches Husten ihrer Kehle entschlüpfte. Das, was sie dort roch, war nicht sonderlich angenehm – und so drehte sie ihren Kopf davon weg. Nein, vielmehr war es ein kraftloses Schleifen über den Boden, nichts anderes.

Akatosh? Für einen winzigen Moment schien sie hinausgerissen aus dieser Welt des Schmerzes, wurde von ihrer eigenen Erinnerung eingesogen. Beinahe war es so, als wäre sie ein Vogel, welcher durch ein gewaltiges schwarzes Nichts flog, in dem vereinzelt Bilder rasend schnell vorüber zogen. Sie konnte dies nicht kontrollieren, nur zusehen, zusehen und abwarten. Die Stute bemerkte gar nicht, dass sie dabei ihre dunklen Augen weit geöffnet hielt, die Ohren gespitzt. Nahezu zur gänzlichen Unkenntlichkeit verschwommen tauchte ein Abbild vor ihr auf, welches sie nur nach mehrmaligem Hinsehen als ihre alte Heimat benennen konnte. Mehrere Pferde waren dort, friedlich grasend, in ein unbestimmtes Gespräch vertieft. Da war auch sie selbst, wie sie verträumt ihren Blick schweifen ließ, entfernte Berge, einen kleinen Wald betrachtete. Auch berührten die tastenden Fühler ihrer Augen ein weiteres Wesen, ebenso ein Pferd wie sie, jedoch noch viel mehr verschwommen. Es, er, besaß ebenso ein rötliches Fell wie sie. Und er blickte sie an, für einen Moment, ehe er rasch den Blick abwandte. Linette spürte es, sie spürte ihr eigenes Lächeln, was von reiner Sanftmut geprägt war. Ohne Vorwarnung jedoch wurde sie heftig in einen Strudel hineingezogen, immer tiefer, alles wurde verschlungen von bösartigem Schwarz. Nein! Es war der Schrei ihres eigenen Geistes, der so kurz vor einer bedeutenden Erkenntnis gestoppt worden war. Oder war es ein Schrei, der sie aufhalten sollte, das Alles verstehen zu wollen, weil es ihr schaden würde? Mit noch immer weit geöffneten Augen lag sie da, zitterte nun ununterbrochen am gesamten Leib – nicht nur wegen den Krämpfen, sondern wegen dieser unverhofften, inneren Aufregung. Das konnte doch nicht.. Seine Worte waren es schließlich, welche sie völlig in die Realität zurückholten. Die Stute spannte bemüht die Muskeln ihres Halses an und schaffte es, ihren Kopf anzuheben. Nur mit größten Schwierigkeiten, es war ein einziges Gezitter. Kaum begeistert blickte sie auf die Kräuter hinab, welche angeblich ihre Schmerzen lindern sollten. So viel hatte sie bereits probiert und doch hatte es nie geholfen. Aber gut. Mit spitzen Lippen zupfte sie an den Blättern, zog das kraut so langsam noch etwas näher an sich heran. Nur widerwillig nahm sie die durchweichte Grünpflanze auf und begann, darauf herumzukauen. Bei dem Geschmack, der sich augenblicklich in ihrer Mundhöhle ausbreitete, verzog sich ihre Miene zu einer regelrechten Fratze. Das war, als würde man Sand mit Rost und Schimmel zu sich nehmen. Recht laut schluckte sie die entstandene Paste hinunter, ehe ihr Kopf wieder hinabsackte und auf dem Boden zum Liegen kam. Der Schnee an dieser Stelle war inzwischen bereits geschmolzen, sodass Matsch und Dreck sich in ihrem Fell festsetzten und sich beim Trocknen wirklich unangenehm anfühlen würden. “.. danke..“ brachte die zierliche Stute schließlich noch hervor, schloss dann ihre Augen und wartete. Vielleicht wäre es schlauer, die Umgebung zu betrachten und sich somit von den peinigenden Schmerzen abzulenken? Doch es gab kaum etwas, das sie hier noch nicht gesehen hatte, schließlich bot diese gesamte Ebene einen nahezu identischen Anblick. So ließ sie einfach die Zuckungen über sich ergehen, spürte die heißen Wellen der stechenden Krallen, welche immer wieder durch ihren Körper fuhren. So musste es sich wohl anfühlen, wenn man von den natürlichen Werkzeugen eines Raubtieres gefoltert wurde. Bei lebendigem Leibe verspeist zu werden, dies erschien Lin beinahe besser als das hier. Denn wenngleich die Schmerzen wohl noch intensiver wären, so würde das Ganze in absehbarer Zeit enden. Das hier war ein quälendes Dahinraffen, dessen Ende von niemandem zu erkennen war.
Linette » 13.02.2014, 17:31 » Die Wiesen #2

Akatosh


Was, was nur war es, das er hier tat? Mit einem Mal schien er ihr nicht mehr wie ein Fremder, sondern wie jemand, der sie nur allzu gut kannte. Jemand, der um ihre Vergangenheit wusste. Und dennoch war es weiterhin sein Name, der ihrem Gedächtnis einfach nicht entspringen wollte. Zudem.. waren es Tränen, die in seinen Augen standen? Wer nur war er, dass er gar jemanden wie sie beweinte?
Beinahe hätte sie gelacht, als er sagte, sie solle nicht derart stur sein. Sturheit, das war es, was ihr bislang das Leben gerettet hatte. Mit ihrem nicht zu brechenden Dickkopf hatte sie sich gegen den Tod gestemmt und stets versucht, die Oberhand über ihre Krankheit zu erlangen. Aber vielleicht hatte er Recht. Wenn sie nur aufhörte, sich zu wehren, würde sie dann nicht endlich in das dunkle Nichts des Todes hinabgleiten? Es wäre ihre Erlösung, diese Welt verlassen zu können – gar eine wohlverdiente Erlösung in ihren Augen. Wenngleich diese Gedanken ihr augenblicklich in den Kopf schossen, bemerkte sie ebenso die seltsame Veränderung in seinem Verhalten. Ein Wesen des Mitgefühls schien er mit einem Mal zu sein, weich war seine Stimme, seine Augen bargen einen bislang unentdeckten Funken. So kam es, dass sie nicht einmal zusammenzuckte, als seine Nüstern ihren Hals berührten. Für einen Moment dachte sie, dies läge einfach daran, dass sie keine Kraft mehr hatte. Doch vielmehr besaß diese Geste etwas Tröstliches, versprach eine gewisse Hoffnung für ihr schwindendes Bewusstsein, das von den Schmerzen langsam übermannt wurde. Ohne Vorwarnung schien er wie eine vertraute Seele, die ebenso lediglich eine Rolle spielte wie sie selbst. Als besäße auch er ein wahres Wesen, das nur kaum ein Individuum zu erkennen vermochte. Aber vielleicht war sie dazu in der Lage, sollte er sich tatsächlich in der gleichen Situation befinden? Linette wusste es nicht. “Gar nicht..“ begann sie schließlich, gab einen erschrockenen Laut von sich, als beinahe ihre Vorderbeine einknickten. Es wurde immer schlimmer, mit jedem Mal wurden die Abstände zwischen den Wellen kürzer. Inzwischen nahmen die Krämpfe ihren gesamten Körper ein, durchzuckten ihn wie elektrische Schläge und wollten ihn dazu zwingen, in seinen Aufgaben zu versagen. Wie eine finstere brut fraß der Schmerz sich tief in ihre Eingeweide hinein, schien ihrem Herz zuzuflüstern, dass es doch endlich versagen solle. Ein Teil von ihr wollte diesem tückischen Vorschlag zustimmen, doch ihr Wille behielt die Oberhand. Schwer atmend stand sie weiterhin da, zwang ihre Lunge dazu, immer weiter Luft aufzunehmen. Nein, sie würde nicht aufgeben, nicht dem Todeslocken nachkommen. Dies war das Letzte, was sie tun würde! “Niemand kann mir.. helfen. Niemand konnte es je und.. niemand wird es je können. Dieser Kampf ist.. meiner.“ Leise seufzte sie auf, als ihr erschöpfter Körper sich für einen Augenblick gegen den des Fuchses lehnte. Deutlich spürte sie die starken Muskeln unter dem Fell, seine schiere Größe, die ihr Stabilität und Halt versprach. Warum nur war er noch immer hier? Es gab keinen Grund, an der Seite einer Stute zu verharren, die sich in schweren Krämpfen wand. Und dabei zeigte er noch eine Art Mitgefühl.. “Wer.. wer bist du, dass.. du bei einer wie.. mir bleibst. Niemand hat das je.. getan.“ Nur mit großer Mühe konnte sie ihren Kopf etwas anheben. Es fiel der Rotorangenen nur allzu schwer, die Klarheit ihres Geistes zu bewahren und sich länger als einen Augenblick auf ihn zu konzentrieren. Warum nur wollte ihr Verstand nicht hergeben, was er über diesen Fuchs wusste? Sie kniff die Augen zusammen, versuchte mit aller Kraft, sich zu erinnern – doch es gelang einfach nicht. Zu sehr schwächten sie die Krämpfe, als dass sie diese Mauer ohne Hilfe überwinden könnte. Der Kopf der Stute sackte wieder hinab, nur allzu tief, sodass ihre samtenen Nüstern beinahe den zugeschneiten Boden berührten. Sie hatte keine Wahl, als einfach stehen zu bleiben und die Qualen über sich ergehen zu lassen. Die Krankheit tobte sich in einem wahren Intermezzo in ihrem Körper aus, massakrierte ihn, labte sich an seinen Zuckungen. Unaufhörlich zitterte Lin nun wie Espenlaub, hatte keine Kontrolle über das, was sie tat. Keinen Schritt vorwärts konnte sie mehr tun, nur hoffen, dass ihre Beine nicht einbrachen wie dünne, trockene Zweige. Sie hatte nie wirklich daran geglaubt, ein Heilmittel zu finden. Für gewöhnlich war sie nicht derart schwarzseherisch, aber mit jedem erneuten Krampf versiegte der letzte Tropfen Hoffnung immer mehr. Warum nur sollte es gerade für sie etwas geben, das man für ihre Mutter ebenso wenig gefunden hatte? Auch diese Stute hatte gelitten, schrille Schmerzensschreie ausgestoßen, die ihr bis heute in den Ohren hallten. Das war der Grund dafür, weshalb sie sich jeglichen Laut des Jammers verbot. Nicht immer gelang es ihr gänzlich, aber die schlanke Stute bemühte sich dennoch darum. Nie mehr wollte sie solche Schrei hören, denn es würde ihr die zerbrechliche Seele zerfetzen wie ein Stück Papier, welches man in tausend Teile rupfte. Ja, Linette war mehr von dem Leiden ihrer Mutter mitgenommen worden, als sie es je zugegeben hatte.
“Bald vorbei.. bald.. vorbei..“ Kaum hörbar flüsterte sie diese Worte, mehr zu sich selbst als zu dem Hengst. Inzwischen perlten gar einige Schweißtropfen aus ihren Fell hinaus, fielen zu Boden und hinterließen kleine, dunkle Flecke im sonst so makellosen Weiß. Mit der Zeit hatte sie gelernt, zu spüren, wann die Krämpfe zumindest beinahe ihren Höhepunkt erreicht hatten – und in diesem Falle kam es ihr vor, als könnte es gar nicht mehr schlimmer werden. Sicher, sie hatte sich bereits in einem deutlich furchtbareren Zustand befunden. Aber diese gesamte Situation machte ihr zu schaffen, das Zusammentreffen mit dem Hengst und gleichsam das nur allzu störende Auftreten ihrer Rosse. Zudem hatte sie bereits eine lange Zeit allein verbracht, kaum ausreichend Nahrung in diesem erbarmungslosen Winter gefunden. Sie war am Ende, doch bald war es vorbei..
Linette » 12.02.2014, 16:19 » Die Wiesen #2

Akatosh


“Wie.. heldenhaft. Sicher wird irgendein Idiot.. dem du das einmal erzählst.. stolz auf dich sein.“ Stockend nur noch entsprangen die Worte ihrer Kehle, wenngleich sie in keinster Weise an Biss verloren. Wenn sie schon körperlich vor ihm klein bei geben musste, so hatte sie noch immer ihren Geist. Und während die Krämpfe die schlanke Stute zucken ließen, so blieben ihre Gedanken noch völlig klar. Niemals würde sie zulassen, dass diese Krankheit ihren Verstand erreichte, ihn vernebelte und ihr alles nahm, was sie noch hatte. Schon zu oft hatte sie gesehen, was eine sonst völlig harmlose Krankheit ausrichten konnte, wenn man sie nur allzu leicht nahm. Diejenigen waren nicht mehr sie selbst gewesen, als hätte ein böser Dämon von ihnen Besitz ergriffen und sie von innen heraus vergiftet. Immer weniger wussten sie von dem, was einmal geschehen war, welchen Charakter sie einmal besessen hatten. Gar den eigenen Namen, gegeben von der Mutter bei der Geburt, hatten sie vergessen. Einfach so, völlig unerklärlich und nahezu Angst einflößend. Dies war etwas, vor dem Lin furchtbare Angst hatte. Nicht mehr zu wissen, wer diejenigen um sie herum waren. Wen sie selbst repräsentierte. Denn dann wüsste niemand mehr, was tatsächlich in ihrem Inneren schlummerte, weshalb sie so geworden war. Bislang hatte sie niemandem erzählt, weshalb sie aus eigenem Willen diesen Wandel vollzogen hatte. Früher war sie ein Wesen reiner Freundlichkeit gewesen, gleichsam sanft und doch bestimmt. Diese Direktheit war schon immer ein Teil von ihr gewesen, doch Situationen wie diese hätte sie durch in Höflichkeit gekleidete Worte vermieden. Es wäre niemals dazu gekommen. Aber die Rotorangene hatte sich entschieden, zu dem zu werden, was sie nun war. Ein Teufel, jemand, dem nicht unbedingt viele Sympathie entgegenbringen konnten und wollten. Und sie konnte es ihnen nicht verübeln. Früher hätte die Stute jemanden wie sich selbst nur mit einem Verdrehen der Augen abgetan und sich nicht weiter damit beschäftigt.
Was nur ist aus dir geworden, Linette? Vielleicht ist die Tatsache, dass die Krämpfe immer schlimmer werden, deine Strafe dafür.
Bei seinen folgenden Worten entsprang ein dunkles Geräusch ihren Lippen, ein Geräusch, welches beinahe an ein Knurren erinnerte. “Bleib mir fern, du..“ Widerling. Bastard. Mistkerl. Sie hielt diese Worte zurück, doch ihre Aussage war wohl auch ohne sie klar genug. Für einen Moment schaffte sie es gar, den großen Hengst wachsam anzufunkeln, ehe eine erneute Welle des Schmerzes sie beinahe in die Knie zwang. Es wurde zu viel, einfach zu viel. Die Stute glaubte nicht, sich noch lange auf den Beinen halten zu können. Bedauerlicherweise hatte er ihr auch den Umstand ihrer Rosse mit seinen Worten wieder in das Gedächtnis gerufen, sodass sie sich nun noch weitaus mehr quälte. Wie schon sollte man sich fühlen, wenn man jemandem ausgeliefert war und keine Möglichkeit hatte, einfach zu verschwinden? Es war nicht so, als würde dies den reinen Optimismus in ihr hervorrufen. Beinahe hätte sie über sich selbst gelacht. Selbst in derartigen Momenten konnte ihr Sarkasmus ans Tageslicht treten und durchaus einige Situationen noch verschlimmern. Es war bereits vorgekommen, dass jemand sie falsch verstanden hatte. Dass sie zur falschen Zeit die falsche Aussage getroffen hatte. Manchmal verfluchte Lin ihre eigene Hitzköpfigkeit, die sie sprechen ließ, bevor sie darüber nachdachte. Vielleicht hätte sie gar dieses Ganze hier vermeiden können, doch nun war es zu spät. Auch der Umstand, dass er nun einige Schritte näher an sie herantrat, verbesserte ihr Wohlbefinden nicht unbedingt. Sie konnte ihn nicht im Auge behalten, viel zu sehr krümmte ihr zierlicher Körper dafür, viel zu sehr wand sie sich unter den furchtbaren Schmerzen. Sie wollte gar nicht wissen, welch ein abstoßendes Bild sie abgeben musste. Inzwischen durchzog wohl der Schweiß ihr gesamtes Fell, während sie in ihrer ungesund krummen Haltung dastand und schwer atmete wie eines der ältesten Tiere in diesem Reich. Aber gegenüber dem Fuchs war ihr ihre Ästhetik wahrlich egal. “Ich habe.. keine Ahnung, wovon.. du sprichst. Mir geht es.. wahrlich blendend. Das Wetter könnte nicht schöner.. sein und ich würde.. am liebsten herumspringen.. wie ein junges Fohlen.“ stieß sie letztendlich hervor und wandte ihren Kopf noch weiter von ihm ab. Er hatte keine Ahnung, er könnte niemals nachempfinden, wie es ihr in diesem Moment ging. Niemand konnte das, denn niemand quälte sich bereits seit Jahren mit dieser Krankheit herum. Überhaupt, weshalb fragte er sie das? Bislang hatte er gewiss nicht den Eindruck gemacht, als würde er sich in einer gewissen Art und Weise um sie scheren. Oder vielleicht war es auch nur ein perverses Spiel, welches er mit ihr trieb und an dem sie niemals Gefallen finden könnte. Dieser Hengst passte einfach nicht an diese Stelle, zu diesem Moment. Bislang hatte Linette es stets vermieden, dass jemand sie so sah. Und nun tat es ein Fremder, ein Umstand, der für sie beinahe noch schlimmer war. Oder nicht? Sicher würde er einfach gehen, wann auch immer, und es einfach vergessen. Was hätte er schon davon, es jemandem zu erzählen? Selbst wenn er es an irgendwelche Wölfe weitergab, die sie anschließend hetzten, so wäre es kein Nachteil. Vielmehr würde sie endlich das finden, was sie von ihrem Leid erlöste.

Der eiskalte Wind sorgte dafür, dass sie noch mehr zitterte, als sie es durch die Krämpfe ohnehin schon tat. Immerhin hatte es aufgehört zu schneien, doch es schien ihr, als würden die tödlichen Krallen der Winterluft nun noch schärfer geworden sein. Hier war nichts, was sie schützte, was diesen Anfall vielleicht zu lindern vermochte. Nur bedecktes Gras und vereinzeltes, kahles Gestrüpp. Selbst wenn der Fuchs ein Freund wäre und sich an sie drücken würde, so könnte es ihr doch nicht helfen. Sie schüttelte beinahe angewidert den Kopf bei dem Gedanken, er könnte dies tun. Aber solch eine Idee würde gewiss niemals in seinem Kopf entstehen.
Linette » 11.02.2014, 15:43 » Die Wiesen #2

Akatosh



Immer stärker wurden die Krämpfe, welche gleich einer Urgewalt in ihrem gesamten Körper wüteten. Nichts konnte sie tun, nichts außer hoffen. Diese Situation musste einfach glimpflich für sie ausgehen, sie hatte nie etwas derart Schlechtes getan, dass eine Art Karma gegen sie stehen könnte. Stets hatte Lin sich bemüht, das Gute in sich selbst hervorzurufen und andere nicht mit ihrer Maske zu überrollen. Gut, hier war es anders. Sie hatte ihn gereizt, sie hatte seine nicht unbedingt höflichen Reaktionen ganz allein provoziert. Doch hatte es einen solchen Einfluss, dass es nun gar noch schlimmer wurde? Denn die Orangerote spürte, dass es zu dem kam, was jede Stute in gleichmäßigen Abständen ertragen musste. Ihre Rosse. Der süßliche Geruch, der ihr selbst beinahe zuwider war, stieg langsam in die Luft und wurde nur allzu schnell vom Wind aufgegriffen. Es würde nur einen äußerst geringen Zeitraum beanspruchen, diesen Duft bis an die Nüstern des Hengstes zu tragen und ihn noch irrsinniger handeln zu lassen. Dennoch würde sie nicht klein bei geben, nicht wie ein verängstigtes Tier den Schweif zwischen den Hinterbeinen einklemmen und hoffen, dass er sie in Frieden ließ. Denn das war es, was ihn wohl noch mehr anstacheln würde. Nein, dieser Blöße würde sie sich nicht geben, hatte sie doch auch viel zu viel Mühe, ihre Krämpfe zu verbergen.

Schließlich lachte die Stute leise auf, ein warmer Laut, der nicht zu dem scharf heulenden Wind und ihren folgenden Worten zu passen schien. “Interessant. Und ich dachte, du wärst mehr derjenige von uns, der sexuell vernachlässigt ist. Immerhin zickst du zurück wie eine empfindliche Diva.“ Nahezu gepresst klangen diese Worte, wurde doch der Druck auf ihren Brustkorb immer stärker und schnürte ihr schier die Kehle ab. Bald schon würde die Atemluft nur noch pfeifend aus ihren Lungen dringen, noch weitaus schwerfälliger wieder hineinströmen. Beinahe jeder dieser Krämpfe brachte sie an den Rand ihrer Kräfte, ließ gar undurchdringbare Dunkelheit in ihrem Geiste erscheinen und verführte sie zu dem Glauben, es sei endlich vorbei. Doch niemals brachte diese Krankheit ihr den endgültigen Tod. Linette würde es als Erlösung bezeichnen, als Freude, endlich diesen Ort verlassen zu können. Jedoch hatte sie gesehen, wie lange ihre Mutter sich gequält hatte. Es könnte jeden Moment vorbei sein, aber auch in vielen Jahren. Im Endeffekt war es die durch die Krämpfe entstehende Schwäche, die sie hinderte, weiterzulaufen und Nahrung zu finden. Es würde vermutlich gar nicht die Krankheit selbst sein, welche sie umbrachte – nur die Nachwirkungen. Die Stute krümmte ihren Hals, sodass ihr schlanker Kopf beinahe ihre Beine berührte. Die rötlichen Strähnen ihrer Mähne fielen ihr wirr über die Augen, doch sie kümmerte sich nicht weiter darum. Auch die Tatsache ihrer Rosse beachtete sie für den Moment nicht weiter. Als sie den wütenden Aufschrei des Hengstes vernahm, zuckte eines ihrer Ohren und für einen Moment spiegelte sich Verwirrung in ihrem Gesicht wider. Das war gewiss nicht an sie gerichtet gewesen. “Was ist? Doch nicht so stark und selbstsicher, wie du vorgibst zu sein?“ Inzwischen beherrschte ein sachtes Zittern ihre Stimme, nicht hervorgerufen durch Angst, sondern durch den körperlichen Schmerz. Inzwischen war sie einfach nicht mehr in der Lage, ihr Befinden vor dem Fremden zu verbergen. Sollte er doch mit ihr tun, was er wollte – nichts konnte schlimmer sein als dieses Leid, welches sie bereits all die Jahre ertragen musste. Vielleicht würde er auch einfach gehen, sie hinter sich lassen und nicht einmal einen Blick zurückwerfen. Verübeln konnte sie es ihm nicht. Sie stand nicht unter seiner Obhut, sie waren nicht befreundet, ja, sie kannten einander nicht einmal. Zumindest kannte Lin ihn nicht. Er hatte keinerlei Pflichten ihr gegenüber, könnte sie zurücklassen wie ein Raubtier seine sterbende, kranke Beute, die kaum als Nahrung geeignet war. Es war ihr gleich. Ihre Augen waren zusammengekniffen, ihre Nüstern weit gebläht, während sich ihre Flanken in immer größeren Tempo hoben und senkten. Vereinzelt begannen bereits einige Muskeln damit, ohne Vorwarnung auf eine Art Stich zu reagieren und sich zusammenzuziehen. Außenstehende könnten dies daran erkennen, dass sie sich immer weiter krümmte, vereinzelt nur eines ihrer Beine zuckte und sie sonst starr dastand und wartete, dass es endete. Doch das war erst der Anfang, sie spürte es, sie wusste es inzwischen einfach. Manchmal kam es gar so weit, dass blutiger Schaum vor ihrem Maul stand und in Flocken zu Boden tropfte, sich mit dem Schmutz der Erde vermischte. Stets durchzog ein deutlicher Schweißfilm ihr sonst so leuchtendes Fell, durchnässte es bis in die Spitzen und sorgte gerade zu dieser kalten Jahreszeit dafür, dass es ihr bald noch miserabler ging. Denn wenn sie noch gegen eine der sonst alltäglichen Krankheiten ankämpfen musste, dann trieb sie das an den Rand der Verzweiflung. Auch jetzt begann es schon, dünne, etwas dunklere Streifen durchzogen ihr Fell und würden bald dafür sorgen, dass sie noch deutlich erbärmlicher zitterte. Die sonst so stolze Stute krümmte sich weiter, unterdrückte gar ein Wimmern, indem sie ihren Kopf fest gegen das eigene Bein presste. Wie sie nur auf ihn wirken musste, so hilflos, ihm gänzlich ausgeliefert. Nur allzu deutlich konnte sie sich ein süffisantes Lächeln auf seinen Zügen vorstellen, wie er langsam an sie herantrat und tief den widerlichen Geruch ihrer Rosse einsog. Und sie würde nichts tun können, sie würde nichts tun wollen. Vielleicht würde er sie mit dem, was danach kam, so sehr verletzen, dass sie vollends zusammenbrach und erst wieder erwachte, wenn es vorbei war. Oder sich gar niemals wieder erhob, für immer hier liegen blieb und verrottete als lebloser Kadaver. Aber wer wusste schon, was geschehen würde? Vielleicht trieb er auch nur ein boshaftes Spielchen mit ihr, würde weiter zusehen, wie sie litt. Niemand konnte es ihr sagen, sie war nur in der Lage, einfach abzuwarten und sich weiter vor ihm zu krümmen wie ein schwächlicher Wurm. Jedoch hatte er sich vorhin abgewandt, in eine gänzlich andere Richtung geblickt. Es könnte möglich sein, dass er von ihrem stummen leiden nichts mitbekam und einfach ging, ohne sie weiter zu beachten. Das Beste wäre es nicht, aber eine Lösung.
Linette » 09.02.2014, 10:50 » Die Wiesen #2

Akatosh


Wäre sie ein Mensch, so hätte sie wohl an der Stelle, an welcher er ihren Namen nannte, eine Augenbraue emporgezogen. Er kannte sie, er kannte sie zumindest so weit, dass er ihren Namen wusste. Und dies war nicht gerade unbedeutend. Denn für gewöhnlich unterließ die zierliche Stute es, ihren Namen in die Welt hinauszuposaunen. So konnten also gewiss nicht viele davon wissen. Die einzigen Individuen, die ihr bei diesem Thema sogleich in den Kopf kamen, zählten zu ihrer alten Herde. Die Herde, in der sie aufgewachsen war. Die Herde, der sie bis zu dem Punkt vertraut hatte, ab dem sie sich völlig abgeschottet hatte. Konnte es also im Rahmen des Möglichen liegen, dass er dazugehört hatte? Für einen Moment kniff Lin die Augen zusammen und musterte ihr Gegenüber überaus scharf, nahezu so scharf wie ein Raubtier seine Beute. Der Schleier um ihre Erinnerung mochte einfach nicht zerreißen, so sehr sie sich auch um die Lösung des Rätsels bemühte. Vielleicht war es auch besser so. Doch schon immer war die Orangerote ein Dickkopf gewesen, der so lange etwas versucht hatte, bis es auch geglückt war. Und auch in diesem Falle sah sie keinerlei Sinn darin, augenblicklich aufzugeben. Eigentlich war er von einprägsamer Gestalt, kaum zu übersehen in dieser grauen Welt und gleichsam eins mit ihr. Er hatte etwas an sich, das sich kaum erklären ließ. Auf einer Seite schien er wie eine reine Urgewalt, gleich der Kraft der Natur, die alles niederzureißen vermochte, was ihr in den Weg kam. Und doch schien er wiederum nur wie ein Schatten seiner Selbst, ein Geist, der sich nur nach seiner Erlösung sehnte. Bei ihrem letzten Gedanken unterdrückte Linette es, den Kopf zu schütteln. Es war irrsinnig, diese Art, ihn zu beschreiben. Sie kannte ihn nicht, sie wusste nicht, was ihn umhertrieb.

“Oh, wie liebenswürdig von dir, mir etwas zu sagen, das ich bereits weiß, aber nicht wissen wollte.“ Noch immer schien ihr Blick nahezu durchdringend, während sie langsam damit begann, nachdenklich um ihn herumzulaufen. Abermals wäre dieses Verhalten mit dem eines Raubtieres gleichzusetzen, doch sie selbst verfolgte damit ein anderes Ziel. Dieser Hengst war überaus stark und sie wusste, dass sie in seiner Nähe keine Schwäche zeigen durfte. Würde sie zulassen, dass er sie dominierte, würde er alles mit ihr tun, was er wollte. Und das wiederum wollte sie nicht. “Also, ich fragte dich danach, wer ich bin. Einen Namen zu nennen ist dabei äußerst töricht, nicht wahr? Namen machen uns nicht aus, Namen definieren uns nicht. Und es kam mir auch nicht darauf an, zu erfahren, was ich bin. In der Tat kann ich dir dies nur allzu leicht allein beantworten.“ Für einen Moment verharrte sie, machte keinen Schritt mehr vor oder zurück. Viel eher stand sie nun an seiner Seite, blickte mit forschendem Blick zu ihm auf und musterte sein Gesicht. Gewiss lag etwas Vertrautes darin, etwas, das sie früher einmal nur allzu gut gekannt hatte. Doch jetzt schien es ihr so, als hätte sie einen Fremden vor sich, der sie einfach an einen alten Freund erinnerte. Auch sein Verhalten, sein Gebaren kam ihr in keinerlei Weise bekannt vor. Die hübsche Stute mochte nicht glauben, dass sie sich je in der Gesellschaft eines solchen Pferdes befunden hatte. Er war einfach zu.. falsch. Lediglich Sekundenbruchteile waren vergangen, während diese Gedanken durch ihren wohlgeformten Kopf geschossen waren. Im nächsten Augenblick ging sie bereits weiter, verharrte letztendlich wieder vor ihm. “Ich bin jemand, von dem kein lebendes Wesen mehr weiß, wie er wirklich ist. Eine Illusion, eine perfekte Rolle, ja, nein, vielleicht. Vielleicht aber auch nicht? Du magst entscheiden, ob ich die bin, die vor dir steht. Nur ich allein weiß um mein Innerstes und könnte dir eine klare Antwort darauf geben. Niemand sonst vermag das.“

Für einen Moment noch blickte sie ihn an, während der harsche Wind ihr einige verirrte Strähnen in das Gesicht pustete. Er mochte mit diesen Worten anfangen, was er wollte. Sie selbst hatte damit gewiss nicht zu viel über sich preisgegeben, vielmehr war es ein Rätsel, lag in einem Maß, das ihr gefiel. Vielleicht würde er sich einfach umwenden und gehen, sie als seltsam abtun und diese Begegnung irgendwann vergessen. Und Lin würde sich dann fragen, ob der Glaube, ihn in gewisser Weise zu kennen, lediglich auf einer Wahnvorstellung beruhte. Herausfinden würde sie es dann wohl nie, aber das war ihr egal. Schließlich drehte sie selbst sich um und es schien, als würde sie diesen Ort nun endlich verlassen. Doch dem war nicht so, vielmehr bemühte sie sich, ihre Miene vor ihm zu verbergen. Eine Miene, in der die Erwartung eines unvorstellbaren Schmerzes lag. Es begann stets mit einem Kribbeln in ihrem Nacken, ein Kribbeln, das sich blitzschnell in ein Ziehen verwandelte. Dies wanderte in Bruchteilen durch ihren gesamten Körper, beherrschte letztendlich gar ihre Beine. Schon seit einer ganzen Weile prickelte dieses Gefühl in ihrem Körper, alles in Lin schien sich in nahezu angstvoller Erwartung zusammenzuziehen. Und nun begann es langsam, der stechende Schmerz, der ihr bereits so viel Leid zugefügt hatte. Er breitete sich nicht derart rasch aus, vielmehr kam er schleichend und würde mit jedem Atemzug schlimmer. Irgendwann glaubte sie dann, ihre Lunge würde sich zusammenpressen und keine Luft mehr aufnehmen können. Es war der Stand, bei dem sie jedes Mal glaubte, er wäre die Spitze des Ganzen. Doch stets wurde es schlimmer, einmal mehr, einmal weniger. Die Orangerote konnte es nicht kontrollieren, nur abwarten und hoffen, dass es endlich vorbei war. Und sie hoffte, dass es sie in der Gesellschaft dieses Hengstes nicht allzu sehr treffen würde. Doch in ihrem Innersten zweifelte sie daran, erhob sich diese Krankheit schließlich stets in ihr, wenn es gerade äußerst schlecht war. Aber einmal, nur ein einziges Mal sollte sie doch Glück haben. Bislang hatte sie die Schmerzen immer stumm ertragen, kein Wort des Klage, kein Laut des Jammers war dabei über ihre Lippen gekommen. Die zierliche Stute bemühte sich darum, ihre Haltung weiter aufrecht wirken zu lassen, sich zu kontrollieren, ihre Miene nicht Spiegel des Schmerzes werden zu lassen. Es musste ihr einfach gelingen.
Linette » 06.02.2014, 14:20 » Die Wiesen #2

Akatosh


Nicht ein einziger Schauder durchfuhr ihren Körper, als er in derartiger Weise um sie herumstrich. Wenn er glaubte, sie so dominieren und einschüchtern zu können, so täuschte er sich doch gehörig. Lin hatte sich noch nie untergeordnet und gewiss keinem Hengst. Er könnte seine Spielchen treiben und würde doch keinen Funken Interesse in ihr erkennen. Solche Dinge waren für sie nicht von Belang, eine Nichtigkeit, der keine Aufmerksamkeit geschenkt werden sollte. Vielleicht würde er dennoch seinen Spaß nicht daran verlieren, aber das war ihr überaus egal. Sollte dies der Fall sein, so würde sie eben mitmachen. Und sie war nicht schlecht darin, Spielchen zu spielen. “Wenn du das über mich weißt, so ist es doch äußerst sinnfrei, eine Antwort auf deine Frage zu geben. Dann kannst du dir selbst erzählen, wer ich bin.“ Noch immer war sie sich bewusst, dass sie diesen Hengst in irgendeiner Weise kannte. So verwunderte es sie nicht, dass er um ihr Alter wusste. Ja, es schüchterte sie auch nicht im Geringsten ein, sollte dies sein Vorhaben gewesen sein. Vielmehr machte es diese Situation interessanter, wollte sie doch wissen, wer er nun war. Noch immer schien ein Schleier über diesem Teil ihrer Erinnerung zu liegen, als hätte jemand nicht gewollt, dass sie sich jemals erinnerte. Vielleicht war gar sie selbst diejenige gewesen, die so gedacht hatte. Nur ungern ging sie geistig in die Zeit zurück, in der sie noch anders gewesen war. Somit konnte es ein Selbstschutz sein, eine Barriere, die sie lieber nicht durchbrechen sollte. Aber würde sie je seinen Namen erfahren, etwas, das er über seine eigene Vergangenheit erzählte.. Es könnte ein Disaster auslösen. Die Stute könnte zurückgerissen werden in den Schmerz, den sie bereits durchlebt hatte, den sie bis heute zu kontrollieren versuchte. Innerlich hoffte sie zutiefst, dass sie in seiner zweifelhaften Gesellschaft von keinem dieser Krämpfe übermannt werden würde. Gewiss würde sie sich nicht vor ihm im Dreck winden, unbeschreiblichen Schmerz in den Augen und ein Wimmern, dass nur allzu gern ihre Kehle verlassen wollte. Nein, sie würde dagegen ankämpfen, so viel Kraft es sie auch kosten würde. Es ergriff sie das ungute Gefühl, dass er nämlich genau das wollte. Sie am Boden sehen, sich krümmend, hilflos wie ein Neugeborenes. Warum auch immer, denn getan hatte sie ihm wohl kaum etwas – so weit sie wusste. Aber diesen Sieg würde sie ihm niemals gönnen, weshalb sie sich bereits wappnete. Noch mochte es nicht so weit sein, aber es konnte äußerst schnell dazu kommen.

“Also, worauf wartest du noch, ist dir die Zunge im Hals stecken geblieben? Erzähle, wer ich bin, für wen du mich hältst. Ich bin gespannt, deine Interpretation meiner selbst zu hören.“ Dies gab Linette schließlich von sich, während ein zugleich genervter und arroganter Ausdruck auf ihrem hübschen Gesicht lag, ihre Stimme belegt war von einem fordernden Klang. Sie wäre nicht überrascht, wenn er nichts sagen würde. Sicher glaubte er, ihr damit einen Sieg zu schenken, zumindest in gewisser Weise. Oder er dachte, dass sie wirklich daran interessiert war, dass sie seine Antwort in gewisser Weise brauchte – um zu sich selbst zu finden. Die Stute unterdrückte es, ihre Augen zu verdrehen. Sie benötigte gewiss niemanden, der ihr bei einer Art Selbstfindung half. So, wie sie es mit sich selbst hielt, war es in Ordnung. Einen dahergelaufenen Fremden, der anscheinend alles dafür tun wollte, sie zu dominieren, brauchte sie dafür gewiss nicht.
Was tust du nur Linette, was tust du nur? Du warst immer so ein liebes Fohlen, niemals hättest du so gedacht. Was ist nur aus dir geworden? Und weshalb erkennst du gerade ihn nicht?
Es kam ihr vor, als würde der Geist ihrer Mutter direkt neben ihr schweben und ihr diese traurigen Worte direkt ins Ohr flüstern. Natürlich war dort niemand, aber manchmal.. vielleicht war es auch die lange Einsamkeit, die ihren Geist verklärt hatte. Doch vielmehr dachte sie eigentlich, höher und weitblickender denken zu können als je zuvor. Da war nichts, was ihre Sicht trübte, eine gewisse Dummheit in ihr hervorrief. So war es wohl nur eine Vorstellung, was ihre Mutter sicher zu dieser Situation gesagt hätte. Du weißt, dass es alles deine Schuld ist. Auch wenn sie ihre Vergangenheit in den tiefsten Winkel ihres Bewusstseins geschoben hatte, so wusste sie doch, dass alles anders geworden war wegen ihrer Krankheit. Nur deshalb hatte sie sich derart verändert, eine völlige Charakterwandlung durchgemacht, wenn man es so nennen mochte. Aus diesem Grund war es alles die Schuld ihrer Mutter. Hätte sie nicht diese Gene, hätte sie einfach keinen Nachwuchs bekommen, so hätte sich nichts davon weiterverbreitet. Sicher, dann würde auch die Rotorangene selbst nicht existieren, aber das hätte auch seine Vorteile. So müsste sie sich nicht mit dieser Ausgeburt der Eigenartigkeit abgeben. Nur allzu gut konnte sie sich vorstellen, welch seltsames Bild sie beide abgeben mussten. Zwei Fuchsfarbene, ein Hengst, eine Stute. Er, der deutlich größer war als sie, schlich um sie herum wie ein hungriges Raubtier, welches jeden Moment zuschlagen könnte. Sie dagegen trug eine ungerührte und eiskalte Arroganz zur Schau, die in dieser Situation nicht vorteilhaft sein musste. Es war befremdlich, so darüber nachzudenken. Aber wahr. In gewisser Weise war Linette gespannt, was dieses Gespräch noch mit sich bringen würde. Vielleicht Klärung und Überraschung, vielleicht Gewalt und Schmerz. Eigentlich war es ihr egal. Welcher dieser Wege auch geschehen mochte, es lag nicht in ihrem Vermögen, dies zu beeinflussen. Vielmehr hing es hauptsächlich von den Reaktionen des Hengstes ab und ihn hielt sie für unberechenbar.
Linette » 06.02.2014, 11:04 » Die Wiesen #2

Akatosh



In diesem Falle hätte sie wohl lieber den Mund halten sollen. Dieser Hengst vor ihr schien eine reine, bizarre Gewalt auszustrahlen, die nicht einmal ihr geheuer war. Es schien nahezu so, als würde nur ein winziger Ruck reichen, eine geringfügige Reizung, um ihn aus dem restlichen Gleichgewicht zu bringen, das er noch zu besitzen schien. Und dann würde er gewiss keine Schwierigkeiten damit haben, ihr etwas anzutun. Schwer war es nicht, die Kraft unter diesem Fell zu erkennen, die Arbeit der Muskeln, die nicht einmal wirklich versteckt waren. Zudem würde seine schiere Größe eine Hürde darstellen, die sie nicht bewältigen könnte. Es war, als würde man einen Hasen mit einem Wolf vergleichen. Sie war mehr ein kaum sichtbares Individuum bei einem flüchtigen Blick, würde nicht in Erinnerung bleiben und würde auch nicht ernst genommen werden. Zumindest, wenn man lediglich ihre Größe betrachtete. Doch da war auch ihr Fell, leuchtend wie ein strahlender Sonnenaufgang. Ihr gesamtes Auftreten, gleich eines unnahbaren Engels, der sich zu verteidigen wusste. Auch ihre pure Schönheit hatte bislang nicht nur einem Hengst den Kopf verdreht, wenngleich sie jeden nur allzu schnell wieder fallen gelassen hatte. Wie bereits erwähnt, ihr lag nicht daran, sich zu binden. Aber zurück zu ihrem Gegenüber. Wenn sie ihn schon durch ihr Auftreten nicht fesseln, beeindrucken konnte, dann würde sie das eben durch ihren Charakter tun. Ihre Charakterstärke. Er mochte noch so groß und gefährlich wirken, die Stute würde dennoch kein Blatt vor den Mund nehmen. Aus diesem Grund blieb sie gelassen, während ihre Haltung von keinerlei Angst oder Einschüchterung zeugte. Sie hatte schon Schwereres gemeistert als dies.

“Gewiss auf keiner verzweifelten Suche. Lieber bin ich allein, als mich mit denen abzugeben, die meiner nicht würdig sind.“ Sie legte eine bewusste Arroganz in ihre Worte und sah nicht vor, diese fallen zu lassen. “Und beschwert habe ich mich nicht darüber, dass du wohl offensichtlich nicht bleiben wolltest – vielmehr hat mich deine anmaßende Unhöflichkeit schier empört. Ein derartiges Verhalten sollte man ab einem gewissen Alter nicht mehr erwarten. Aber anscheinend habe ich mich getäuscht bei einer Fähigkeit, die gewöhnlich selbstverständlich ist. Denn du scheinst sie nicht zu besitzen.“ Die zierliche Stute schnaubte und ignorierte ohne jegliche Probleme die Tatsache, dass seine Gelenke derart laut knackten. Vielmehr hätte sie ihm beinahe noch den Spruch entgegengebracht, dass er offensichtlich nicht mehr der Jüngste war, wenn derartige Abnutzungen auftraten. Und dass sie sich mit einem alten Hengst gewiss nicht abgeben würde. Doch für den Moment ließ sie es bleiben. Natürlich war Linette bewusst, dass er noch nicht allzu alt sein würde, kaum ein paar Jahre mehr als sie in den Knochen hatte. Dennoch schlug sie oftmals den Weg des Reizens ein und würde sich auch hier nicht lange zurückhalten können. Eigentlich hatte sie dies auch bisher nicht getan.

Für einen Moment schüttelte sie ihre Mähne, um die darin gefangenen Schneeflocken zu befreien. Bei derartigen Temperaturen wäre es nicht ratsam, das eigene Haarkleid übermäßig feucht werden zu lassen. So würde sie nur umso mehr frieren und sich am Ende gar noch den Tod holen. Es behagte der Stute nicht sonderlich, dass der Schneefall kein Ende zu nehmen schien. Vielmehr hatte er sich wieder verstärkt, die vereinzelten Regentropfen waren inzwischen auch wieder zu Eis geworden und gar der aufgeweichte Boden begann damit, wieder zuzufrieren. Eine Schande. Bereits jetzt war das kaum schmackhafte Gras wieder unter einer weißen Decke verschwunden und würde dort wohl auch nicht mehr lange durchhalten. Immer mehr erschien es Lin so, als würde die Zeit des Hungers noch längst kein Ende nehmen. Vielleicht sollte sie diese Gegend tatsächlich wieder verlassen und sich auf die Suche nach einem besseren Ort machen. Gar wäre es sogar ratsam, dieses Tal zu verlassen. Der Konflikt, welcher hier ausgetragen wurde, gefiel ihr sowieso nicht sonderlich. Jeden Tag bestand die Gefahr, dass sie hineingeriet, in welcher Weise auch immer. Und dann müsste sie sich wohl entscheiden. Die Rotorangene wusste nicht, für welche Seite sie sich entscheiden würde – vermutlich die, welche ihr den größten Vorteil bot. Am Ende ging es ihr nur darum, möglichst unverletzt zu überleben, nicht ihre eigene Meinung an dieser Stelle zu vertreten. Ein seltener Gedanke, den man bei dieser Stute nicht allzu oft bemerken würde. Für gewöhnlich richtete sie sich nicht danach, was das Beste für sie selbst war – sie würde sagen, was sie dachte. Doch an dieser Stelle könnte es sie das Leben kosten und das wäre nun einmal äußerst unpraktisch. Warum sie sich im Moment überhaupt mit derlei Dingen beschäftigte? Lin wusste es nicht, sollte sie sich doch mehr auf die momentane Situation konzentrieren und versuchen, ihr Gegenüber einzuschätzen. Obwohl, diesen Erfolg würde sie ihm nicht gönnen. Es wäre wohl nur allzu verräterisch, wenn sie ihn beäugte und versuchte, seine Reaktionen einzuschätzen. Denn das könnte ihm mitteilen, dass sie durchaus einen Funken Angst vor ihm hatte. Doch diesen versteckte sie tief in ihrem Inneren, sodass sie kaum selbst daran glaubte, dass er dort war. Was sollte er ihr schon groß tun? Selbst ein gewisses Maß an körperlicher Gewalt würde sie überleben. Und wenn er ihr etwas Derartiges angetan hatte, dann würde er sie wohl in Frieden lassen. Sie hatte bereits viele Hengste erlebt, die ihren Trieben unumwunden hatten nachkommen wollen und danach befriedigt verschwunden waren. Eigentlich war es normal. Auch in der Herde, in der sie aufgewachsen war, hatte etwas derartiges stattgefunden. Natürlich nicht mit roher Gewalt, doch der Instinkt, die eigenen Gene zu verbreiten, konnte nur von wenigen Hengsten unterdrückt werden. Und somit zählte dies zu natürlichen Dingen, die sie noch am ehesten akzeptieren könnte.
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