Manchmal gerat‘ ich aus der Spur, doch immer wartest du auf mich ...
Er würde sie hier finden, umgeben von alten Gemäuern und wildwachsenden Pflanzen, welche die ersten, jungen Knospen trugen, hatte Illium nach dem Gespräch ihm offenbart. Die Worte des Erzengels haben das ausgewühlte Inneres des Waffenmeisters beruhigt – ihm nicht unbedingt die Last des Verrates genommen, aber seinem alten Freund zur Seite gestanden. Galen war kein Hengst für viele Worte und große Reden, aber er war ein Narr gewesen und ihm falschen Moment den Mund geöffnet. Die Schuld an den Tod von Raphael quälte ihn, saß so tief, wie jene Narben, welche sich durch das tiefschwarze Fell zogen. Die Seele sehnte sich nach Rache an dem Fahlen und an jene, die ihm treu in den Tod folgen würde. Dennoch – rückten diese in Blut getränkten Gedanken an Gerechtigkeit in weite Ferne, weil sich sein Herz allein nach ihr sehnte.
Galen legte die starken, finsteren Schwingen eng an seinen muskulösen Körper, als er das verrostete Tor passiert, welche in den alten Klostergarten führte, der von verfallenen Steinen noch immer umrahmt wurde. Die schweren Hufen schritten einen schmalen Trampelpfad entlang, vorbei an wilden Sträuchern, tiefhängenden Zweigen von alten Bäumen und zarten Grashalmen, welche gespannt auf den Frühling warteten. Das Herzstück des Zaubergartens, wie dieser Ort von sterblichen Artgenossen benannt wurde, war eine große Trauerweide, dessen langen, herabhängenden Äste schützend den Garten umgaben. Aufmerksam wanderten die dunklen Augen des Engels durch das zarte Grün, welches sich langsam über diese kleine, eingefangene Welt überzog, bis der Rappe jenes bezaubernde Wesen entdeckte, welches er gesucht hatte.
Das helle, engelsgleiche Wesen stand nahe dem Stamm der Trauerweide, und sofort verlor sich ein sanftes Lächeln auf den markanten Gesichtszügen des Rappens, als er die Liebe seines Lebens entdeckte. Die verdrehte Formation ihrer Flügel war einzigartig – sie war einzigartig, allein für ihn bestimmt. Der Barbar und die Gelehrte, eine wundersame Liebesgeschichte. Für einen Moment blieb Galen stehen, schloss kurz die Augen und holte tief Luft. In ihrer Nähe verlor er seinen Mut, seine Kraft und seine Kraft. Er war ein gebrochener Hengst, hat sich selbst am meisten enttäuscht und wusste nicht … wie sie über seinen Verrat dachte. Würde sie ihn verstoßen? Ihn keines Blickes würdigen? Ihn davonjagen, gar zum Teufel und direkt in den Tod? Er konnte und wollte nicht ohne sie Leben – sie war sein Leben.
„Jessamy.“, erhob sich leise die dunkle – ein wenig kratzige – Stimme des Rappens, während er seinem Engel langsam, bedacht entgegenschritt. „Ich habe dich gesucht … und …. Illium meinte, dass du hier wärst.“ Im Schutz der Trauerweide bewegte sich Galen weiter auf die Helle zu, aber bewahrte einen Abstand, um ihr nicht zu nahe zu treten und senkte sein mächtiges Haupt.
... Ich kann nicht anders, doch vertraue dir, dass wir nicht das Vertrauen verlieren.
Bündnis. Das Wort lag schwer, wie Blei in seinem Kopf, zog jegliche Gedanken auf den Grund der tiefen See. Wellen über Wellen überschlugen sich, bis eine Sturmflute drohte an den hohen Klippen seines Selbstbewusstseins zu zerschellen. Das Ego des Rappen war zu groß, um sich von einem Wort einschüchtern zu lassen. Wenn es nach ihm ginge, wäre er längst in das Gebiet der Gaistjan Skairae einmarschiert, um den Fahlen höchstpersönlich den Kopf abzureißen, um auf seinem toten Leib zu tanzen. Ein Wunschgedanke. Vielleicht besaß Galen die Kraft, den Mut und die Entschlossenheit, aber Faithless war anders, wenn dieser in der Lage war einen Erzengel, um sein göttliches Leben zu bringen. Kein Kinderspiel, selbst für einen Waffenmeister, wie der dunkle Engel es war. Trotzdem, ein Bündnis? Darüber konnte Galen nur den Kopf schütteln, immer und immer wieder. Die Adoyan Enay waren stark, dies sollte niemand anzweifeln, aber waren sie auch bereit sich alleine dem Fahlen und dessen Gefolge gegenüberzustellen. Nein, Galen wollte Seite an Seite kämpfen, aber mit Artgenossen, welche längst zu seinen Wegbegleitern geworden waren; denen er sein Leben anvertraute. Mit fremden Artgenossen, welche man nur schwer Vertrauen schenken konnte, in den Krieg ziehen? Ein reines Himmelfahrtskommando. Man kann den Gedanken drehen und wenden, aber anfreunden konnte sich der Rappe mit den dunklen Schwingen nur schwer. Dennoch vertraute Galen seinem langjährigen, wie besten Freund und würde womöglich jedes Handeln unterstützen, bei dem er nicht in der Lage war es Illium auszureden. Der Entschluss stand längst fest, egal, wie sehr sich das Innere des Hengstes dagegen wehrte es zu akzeptieren. Es war ein Versuch wert, die konnte Galen nicht leugnen, aber der Preis könnte hoch sein, wenn der Versuch scheitern würde.
Die überraschte Reaktion des Erzengels kam unerwartet, so sehr, dass Galen innerlich zusammenzuckte mit der Gewissheit, dass Illium nicht bereit war einen Verräter an seiner Seite haben zu wollen. Der Gedanke kam so plötzlich, wie der Hass auf sich selbst. Wie konnte Galen nur einen Gedanken daran verschwenden, dass Bluebell ihn als ewigen Verräter sehen könnte; dem man nicht vertrauen konnte. Vor wenigen Momenten hatte ihn der gescheckte Erzengel aufgemuntert, ihm Vertrauen und Mut zugesprochen. Es war dumm und töricht, aber die Reaktion blieb dem Rappen schleierhaft, bis sich ein sanftes Lächeln auf den Lippen seines Gegenübers bildete. Ein Schritt näher, ehe sich die Stimme des Erzengels leise erhob. Kurz schloss Galen die Augen, genoss den Moment, als sich ihre warmen Körper berührten. Wer wusste schon, wie viel Frieden am Ende übrig bleiben würde. Es war eine Frage der Zeit, deren Antwort man bald erfahren würde. Das imposante Haupt des dunklen Engels nickte sacht, aber merklich, um deutlich zu machen, wie sehr ihn die Entscheidung des Erzengels erfreute. Keine großen Reden, keine großen Gesten. Klein, aber ehrlich.
Die dunklen Augen kamen hinter den Lidern zum Vorschein, als ein Wort, welches keinen Widerspruch duldete, die kühle Luft zerschnitt. Nein. Deutlicher, konnte man es nicht ausdrücken, vor allem nicht mit dem Nachdruck, welchen Illium hineinlegte. „Gut.“, erhob sich die maskuline Stimme aus der Stille heraus. „Wahrscheinlich ist es auch besser, wenn Dmitri bei den Adoyan Enay bleibt.“, stimmte Galen, wie selbstverständlich der Entscheidung seines langjährigen Freundes, zu. Dmitri war ein fähiger Geschworener in ihren Reihen, ihm brachte er genug Vertrauen entgegen, um ihm diese wichtige Aufgabe zugeben. Man durfte nicht ans Scheitern denken, aber den Weg zu den Corvus Corax und ihr Anliegen auch nicht auf die leichte Schulter nehmen. Egal, wie sehr sich Galen innerlich gegen ein Bündnis strebte, durften sie nicht scheitern, sondern mit Hoffnung im Herzen an das Beste glauben. Glauben. Kurz dachte der dunkle Engel an Voltaire, den sterblichen Priester, welchen Raphael einst zu den Adoyan Enay geführt hatte. Der Rappe nickte stumm, wollte es sich nicht gedanklich ausmalen, welches Szenario sie erwarten könnte, wenn sie in das Gebiet der Corvus Corax eingedrungen waren. „Wir werden alles Erdenkliche tun, um nicht zu scheitern.“ Der dunkle Blick verfiel dem Gold der Augen seines Gegenübers, wollte ihm Mut und Zuversicht zusprechen. Die Würfel waren längst gefallen; sie mussten handeln, bevor der Krieg über das Tal ausbrechen würde.
Galen lockerte seine Muskulatur, erhob die schwarzen, gewaltigen Schwingen, um sie im leichten Wind erzittern zulassen. Nur kurz, gab er den Blick auf die helle Feder frei, welche sich einsam zwischen all den schwarzen, wie grauen Federn bewegte. Jessamy. Er hätte sie längst aufsuchen sollen, aber war zu sehr mit seiner Wut und Selbsthass beschäftigt gewesen. „Lass uns zurück zum Herdenplatz gehen.“, schlug der Rappe vor, ehe sich die Schwingen wieder zurück auf seinen Rücken abgelegt hatten. Die Zeit war gekommen, das Versteckspiel längst vorbei.