Danke <3 Kapitel 3 ist nun endlich fertig .___.
Kapitel 3
Die Nacht verbrachte Silver unruhig in ihren Laken wühlend. Sie konnte die Augen kaum schließen, schon sah sie erneut die Höhlen vor sich, konnte sie den Schmerz auf ihrer Haut spüren, in ihrer Haut. Sie konnte nahezu fühlen, wie das Blut das Laken, in dass sie schweißgebadet vor Angst gehüllt hatte, tränkte. Sie wünschte sich, und das machte ihr nur noch mehr Angst, zu Nathan. Wo war er hingegangen?
Der Morgen graute und die ersten Sonnenstrahlen stahlen sich durch die Fenster. Das warme Licht kitzelte ihre Nase, ihr Kopf dröhnte und sie spürte keinerlei Motivation, ihren Körper aus dem Bett zu zwingen. Doch ebenso wenig wollte sie liegen bleiben, sich weiter diesen furchtbaren Gedanken hingeben, die ihr einen Schauer über den Rücken jagten. Sie wirkte zerbrechlich, als sie sich in ihrem Nachthemd auf die Bettkante setzte. Ihre schlanken Finger vergruben sich im Laken, als sie die Augen kurz schloss. Ihr war schwindlig und kalt. Seufzend richtete sie sich auf, taumelte kurz und suchte dann im Kleiderschrank eine Jeans und eines ihrer Lieblingsshirts.
Als Silver die Küche betrat, sah sie Nathan wie er in die Zeitung versunken an seinem Kaffee nippte.
„Guten Morgen.“ Murmelte sie leise, als er nicht aufblickte und auch sonst keinerlei Notiz von ihr zu nehmen schien.
„Morgen.“ Seine Stimme klang kratziger denn je. Als Silver erneut taumelte, hob sich sein Blick doch und eisblaue Blicke umfingen sie und verstärkten das Kältegefühl umso mehr. Doch etwas wirkte verändert an ihm, war es Sorge? Plötzlich stand er neben ihr, eine Hand um ihre Hüfte gelegt.
„Leg dich wieder ins Bett.“ Er wirkte… ja, wie wirkte er eigentlich? Seine Bewegungen waren fahrig, er schwitzte, seine Augen suchten nervös nach etwas, wohin sie hätten blicken können. Er war nervös und Silver musste sich ein Lächeln verkneifen. Doch dann verdunkelten sich ihre Züge, sie spürte wie die Schwärze des gestrigen Abends erneut von ihr Besitz ergriff. Sie lehnte sich an ihn, doch das Gefühl wurde schlimmer. Aus einem Instinkt heraus, wich sie von ihm. Und ein Blick in sein Gesicht verriet ihr, er war verletzt. Wo blieb dieser Ausdruck, wenn er sie gegen ihren Willen nahm? Sie schüttelte den Kopf und bemühte sich, wieder klare Gedanken zu fassen.
„Es geht schon.“ Murmelte sie leise, ohne ihn erneut anzublicken. Sie ertrug den Ausdruck in seinem Gesicht nicht: so verletzt. Erstmals kam ihr der Gedanke, dass dieser Mann nur so hart geworden war, weil man ihm etwas angetan hatte. Weil er selbst Schmerzen in sich trug, die keiner sah. Die nur er sah. Wieder dachte sie an das, was Damayanti ihr gesagt hatte. Wusste sie etwas? War es das, warum sie ihren Herren immer wieder in Schutz nahm, auch wenn dieser sich grausam verhielt?
„Ich muss jetzt zur Arbeit, das Mädchen befragen.“ Er trat nun seinerseits zurück, fahrig fuhr er sich mit der rechten Hand durch das störrische, dunkle Haar.
„Geht es ihr soweit gut?“
„Sie kommt wieder auf die Beine. Momentan ist sie stark traumatisiert und unterernährt. Die oberflächlichen Wunden klingen bereits ab.“ Silver glaubte in seinem Gesicht Mitgefühl zu erahnen. Der Fall nahm Nathan mit. Unbewusst streckte sie ihre Hand aus, ihre kalten Finger streichen sanft über seine Wangen, ehe sie erschrocken bemerkte, was sie tat und sich zurückzog.
„Ich hoffe, es geht ihr bald besser.“ Murmelte sie und übersah geflissentlich Nathans unergründlichen Blick.
„Es ist noch Kaffee da. Du siehst müde aus. Wenn du nicht schlafen gehen willst, trink ein wenig davon. Das wird dir guttun.“ Ein leises Seufzen drang aus seinem Mund, ehe er sich seine Jacke schnappte und zur Tür ging, nicht ohne beiläufig mit seiner Hand die ihre zu berühren.
„Bis heute Abend.“
Die Tage verstrichen alle gleich, so auch dieser. Silver spürte den Unmut in sich größer und größer werden. Die Untätigkeit, zu der sie verdammt war, erschreckte sie und machte sie übellaunig. Von dem einst unbeschwerten und glücklichen Mädchen war nicht viel übrig. Als sie so darüber nachdachte und den Rand der Kaffeetasse nachfuhr, wurde ihr schwindlig. Sie durfte und konnte so nicht weitermachen, sonst würde sie in ihrem Unmut bald ihrem Gatten Konkurrenz machen. Es reichte, wenn einer der beiden verbittert war.
Damayanti steckte den Kopf zur Tür hinein, als Silver gerade aus dem Stuhl sprang, als wäre sie gebissen worden. „Aber Herrin, was habt Ihr denn vor?“ fragte die exotische alte Frau vorsichtig. Einmal mehr kam ihr der Gedanke, dass die Alte womöglich für ihren Herren sehr akribisch beobachtete, was Silver zuhause tat, wenn sie allein war. Sie seufzte leise, eine solche Skepsis wollte sie nicht an den Tag legen. Doch der Gedanke drängte sich ihr auf.
„Ich wollte eben ein wenig … forschen? Ich habe gestern etwas Merkwürdiges erlebt und würde nun gern ein wenig mehr darüber erfahren.“ Silvers Augen musterten Damayanti aufmerksam, denn in deren Gesicht flackerte kurz so etwas wie Erkenntnis und Erstaunen auf, Erschrecken?
„Herrin, vielleicht wollt Ihr in unserer Bibliothek einmal nachsehen? Soweit ich weiß, besitzt der Herr eine große Fülle an Büchern und Nachschlagewerken.“
Silver war überrascht. Sie wusste, dass Nathan so seine Geheimnisse hatte. Aber dass in diesem Haus eine riesige Bibliothek verborgen war, hatte die junge Frau nicht ahnen können. Sie hätte sie doch schon viel eher aufgesucht, hätte sie davon gewusst. Doch das Haus war riesig und die meisten der Türen führten in leere, kalte, unbewohnte und leblose Räume. Sie hatte es irgendwann aufgegeben, sich umzusehen. Sie hatte ja doch immer nur vor der gleichen Leere gestanden.
„Kannst du mir den Weg zeigen?“ fragte Silver mit einer Spur Hoffnung in der Stimme. Vorsichtig strich sie das silberne Haar hinter die Ohren und trat auf die Dienerin zu, die einen Schritt zurückwich. Die plötzliche Nähe behagte ihr nicht und Silver stoppte abrupt. Sie wollte der Inderin keine Angst machen.
„Aber selbstverständlich. Folgt mir bitte, Herrin.“ Mit einem Knicks wandte sich Damayanti um und führte Silver die Korridore entlang, vorbei an Statuen und Bildnissen, die die Familie Nekrasov darstellten. Silver konnte darin immer wieder die Härte erkennen, die sie auch aus Nathans Gesicht kannte. Doch in keinem dieser Gesichter fand sie die Traurigkeit und Bitterkeit, die in ihrem Mann zu wohnen schien. An einem Portrait Nathans blieb sie stehen. Es hing in einem so verwinkelten Gang, dass man es unmöglich beim Erkunden des Hauses zufällig hätte finden können. Vorsichtig strich die junge Frau mit den Fingerspitzen über das Ölgemälde. Für eine Sekunde wurde ihr heiß und kalt zugleich, weiß vor Augen. Sie spürte Schmerz, einen unsagbaren Schmerz den kein Wesen je würde ertragen können. Sie stolperte zurück und in diesem Moment endete das unsagbar Gefühl.
„Alles in Ordnung, Herrin? Wollt Ihr Euch setzen? Wollen wir zurück gehen? Ihr seht bleich aus.“
„Es ist schon gut, Damayanti. Bring mich zur Bibliothek.“
Eine kleine Wendeltreppe führte hinaus in eines der Türmchen dieses Hauses und schließlich standen die beiden vor einer Tür, die knarrend nachgab. Dahinter befand sich, was jedes Herz eines Bücherliebhabers hätte höher schlagen lassen.
„Wow.“ Hauchte Silver, beeindruckt von der schieren Masse der Bücher, die sich an der runden Wand des Türmchens in unerdenkliche Höhen stapelten. Eine fahrbare Leiter konnte und musste benutzt werden, um das Großteil der Bücher überhaupt zu erreichen.
„Kann ich Euch noch weiterhin behilflich sein, Herrin?“
„Bringst du mir einen Kaffee oder Tee?“ Silver lächelte entschuldigend. Sie wusste, dass die arme alte Dienerin nun den gesamten langen, verwinkelten Weg durch die Villa zurück laufen musste, nur um dann erneut die Bibliothek aufzusuchen. Doch Damayanti verneigte sich nur und mit einem Lächeln huschte sie davon.
Die filigranen Fingerspitzen der jungen Frau strichen gedankenverloren über die Rücken der Bücher, die sie vom Boden aus erreichen konnte. Sie entzifferte all die Titel, die teils in kostbaren Goldlettern aufgedruckt waren, häufig jedoch schon so abgegriffen waren, dass man nur mit Müh und Not lesen konnte, um welches Buch es sich handelte.
Nathan besaß eine Vielzahl alter Romane namhafter Autoren, doch auch viele unbekannte Schreiber befanden sich in seiner Sammlung. Einem Teil der Bibliothek schienen Sachbücher vorenthalten, als Silver darauf stieß, vertiefte sie sich umso mehr in ihre Arbeit. Es handelte sich um naturwissenschaftliche Berichte, historische Erzählungen, Chroniken, Untersuchungen, Experimente. Doch nichts von alldem konnte ihr weiterhelfen. Die Inhaltsverzeichnisse blieben für sie unbedeutend, keiner der aufgeführten Punkte schien mit dem in Verbindung zu stehen, was ihr widerfahren war.
Sie erschrak, als ein leises Klopfen die Rückkehr der Dienerin ankündigte. „Entschuldigt.“ Nuschelte Damayanti, als sie den starren Ausdruck ihrer Herrin sah. „Ich hatte nicht vor, Euch zu erschrecken.“
„Schon gut.“ Schnell hatte sich Silver wieder gefangen. „Ich war nur einfach zu tief in meiner Suche versunken. Mach dir keine Gedanken.“ Vorsichtig stieg sie von der Leiter und empfing die dampfende Tasse, während Damayanti die kleine Kanne auf eines der Tischchen stellte, die im Raum verteilt standen.
„Hat Eure Suche bereits erste Ergebnisse gebracht?“, erkundigte sich die ergraute Frau, die ein Bindi auf der Stirn trug. Erstmals dachte Silver darüber nach. War dieses rote Zeichen zwischen den Augen nicht eigentlich ein Symbol der verheirateten Frau? Dienerinnen waren nicht verheiratet, zumal sie es bei Damayanti gewusst hätte, wenn diese gebunden war. Doch das ging Silver nichts an, sie schüttelte den Kopf um ihre Gedanken zu vertreiben. Ihr kurzes Zögern musste der Dienerin aufgefallen sein, fragend musterte sie die junge Vampirin.
„Nein. Bis jetzt nichts. Diese Bücher scheinen alle sinnlos für mein Vorhaben. In keinem finde ich, was etwas mit dem zu tun haben könnte, was ich erlebt habe.“
„Herrin, ich möchte nicht vermessen klingen und Euch keinesfalls zu nahe treten. Doch wenn Ihr mir beschreibt, wonach Ihr sucht, könnte ich vielleicht helfen?“ In Damayantis Stimmlange klang deutlich die Furcht an, die sie empfand. Es stand einer Dienerin nicht zu, selbst das Wort an die Herrschaft zu richten. Besonders im Hause Nekrasov, war das Leben mitnichten einfach. Doch ganz offensichtlich verband die alte Frau auch eine beinahe familiäre Zuneigung mit Nathan. Wie oft in der kurzen Zeit hatte Silver bereits beobachtet, wie in Damayantis Augen der selbe Ausdruck trat, den ihre eigene Mutter ihr manchmal zugeworfen hatte. Jene liebevolle Anklage, die allein Eltern gegen ihre Kinder erhoben.
„Du wirst mich für verrückt halten.“ Lächelte Silver, als sie sich auf einen der Sessel fallen ließ. Dieser war braun und aus Leder, sehr bequem und so groß, dass der zierliche Körper der jungen Frau darin zu versinken drohte. Der Kaffee in ihrer Tasse duftete und dampfte, vorsichtig nippte sie daran und genoss das belebende Gefühl des Koffeins.
„Herrin, ich habe schon so manches im Leben gesehen. Und es wäre ganz undenkbar, dass ich Euch für verrückt halte.“ Erstmals glaubte Silver, auf dem Gesicht der Alten ein Lächeln zu finden, dass ihr golt.
„Nathan hatte… diesen Fall. Das verschwundene Mädchen.“ Damayanti nickte, als Silver nicht weitersprach. „Er hatte Beweismittel mitgebracht, und ich habe eines davon berührt. Ein Armband. Und plötzlich befand ich mich in dieser eisigen Höhle, wo sie das Mädchen später fanden. Ich habe gespürt, was sie spürte. Gesehen, was sie sah und gehört, was sie hörte.“ Ein Zittern durchfuhr sie, sie wusste doch selbst, wie verrückt all das klang. Doch Damayantis Gesicht war wie versteinert.
„Grundgütiger, Ihr seid eine Seelenwanderin.“
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