Ja <3
Kapitel 13
Sie zitterte im Schlaf. Ihr Körper, erschüttert von Schmerzen und den Nachwehen der Operation. Silver war stark, doch sie war zur Hälfte Mensch. Ihr Körper regenerierte bei weitem nicht so schnell, wie er es bei einem Vampir getan hätte. Nathan konnte nichts anderes tun, als ihr machtlos zuzusehen, während sie in ihrem Leib einen Kampf austrug.
Seine Hand fuhr vorsichtig durch ihr langes Haar, das in sanften Wellen auf der Matratze gebettet lag. Die Strähnen waren weich und schimmerten sanft im künstlichen Licht der Monitore, die Silvers Vitalzeichen überprüften. Das stete Piepen hätte ihn wohl zu jeder anderen Zeit genervt, nun aber beruhigte ihn das regelmäßige Geräusch. Ihr Herz schlug kräftig und gleichmäßig. Sie war außer Gefahr, zumindest vorerst. Immer wieder ging er im Kopf die verzwickte Situation durch, doch er konnte sich nicht konzentrieren. Dass Silver so schwach und gebrechlich neben ihm lag, vernebelte ihm die Sinne. Ein weiteres Mal fragte er sich, welche Gefühle er wirklich für diese Frau hegte. War es möglich, dass er sie liebte? Rational betrachtet, glaubte er, solcher Gefühle gar nicht fähig zu sein. Doch das Ziehen in seiner Brust wenn er um sie bangte, dieses Hochgefühl wenn er sie küsste, die Sehnsucht wenn er von ihr getrennt war – das waren doch alles Anzeichen für.... Liebe?!
„Herr Nekrasov.“ Eine freundliche Stimme eroberte den Raum, leise, um Silver nicht zu wecken und doch laut genug, Nathan aufmerken zu lassen. Er ließ von Silver ab und löste seinen Blick von ihr, um auf den Flur heraus zu treten. Vor ihm stand ein junger Arzt, blonde Beach-Boy-Wuschelhaare, blaue Augen – der typische Sunnyboy. Wenn er lächelte, entblößte er zwei Reihen makelloser Zähne und Fänge. „Ich bin Doktor West, ich habe den Fall Ihrer Frau übernommen.“ Erklärte sich der junge Mann, nicht ohne dabei Nathans Skepsis zu erwecken. Wieso ein neuer Arzt? Und wieso so ein Jüngling, der von seinem Handwerk wahrscheinlich nichts verstand? Doch er biss die Zähne zusammen. Dieses Krankenhaus war das beste im Osten des Landes und er musste den Ärzten vertrauen. Sie gegen sich aufzubringen, wäre kontraproduktiv.
„Freut mich. Was gibt’s?“
Nathan zwang sich zu einem Lächeln. Ein merkwürdiges, fremdes Gefühl für ihn. Doch er konnte sich nicht leisten, den Arzt gegen sich aufzubringen. Kooperation lautete das Zauberwort.
„Die Werte Ihrer Frau sind stabil. Sie scheint auf dem Weg der Besserung...“
„Scheint, oder ist?“ Nathans Augenbrauen zogen sich zusammen, ein bissiger Tonfall schlich sich ein, doch er schüttelte den Kopf. „Entschuldigung.“
„Schon gut, Sie müssen sich schrecklich fühlen und sind angespannt. Kein Problem.“ Sunnyboy West strich sich eine Strähne aus dem Gesicht und schenkte Nathan sein schmierigstes Lächeln. „Sie IST auf dem Weg der Besserung. Sie war in den letzten Stunden stabil, wir gehen nicht davon aus, dass da noch etwas kommt. Wir werden sie noch ein paar Tage zur Beobachtung bei uns behalten, aber sie dürfte bald nach Hause dürfen.“ Wieder Hand auf Arm, ein freundliches Nicken und West verließ die Bühne.
Nathan blieb mit seinen Gedanken und Gefühlen zurück, die er kaum einzuordnen wusste. Silver würde wieder gesund werden. Ein brennendes, angenehmes Gefühl breitete sich wie ein Lauffeuer in seinem Körper aus. So fühlte sich also Glück an.
Ihre Fingerspitzen umklammerten das Geländer, welches zum Eingang der Villa führte. Nur mühsam schleppte Silver sich die Treppe hinauf und betracht das Foyer ihres Zuhauses. Es war ein gutes Gefühl, wieder hier zu sein. Nathan stand bei ihr, sie stützend.
„Es geht schon, vielen Dank.“ Sie schenkte ihrem Ehemann ein warmherziges, wenn auch zögerliches Lächeln. Es waren ein paar Tage verstrichen, die sie im Krankenhaus hatte verbringen müssen. Ihr Körper erholte sich zwar langsam, jedoch schneller als es ein menschlicher Organismus tun würde. Nathan war die ganze Zeit kaum von ihrer Seite gewichen. Auch als Damayanti ihn bat, wenigstens ein wenig zu schlafen, zu duschen, weigerte er sich vehement. Seine Haare hingen mittlerweile strähnig ins Gesicht und ein ausgewachsener Bart, der ihm nicht unbedingt schlecht stand, schmiegte sich an seine hohlen Wangen. Die blauen Blicke wirkten glasig, jedoch lebendig. Er war übermüdet, doch glücklich. Und ihn so zu sehen, ließ Silver das Herz in der Brust stocken und hüpfen. Dieser Anblick – sie hätte sich so gern daran gewöhnt, doch sie kannte ihn gut genug, um seine Launen einzukalkulieren. Bald schon würde er sich wieder wie ein Arsch benehmen, davon war sie überzeugt.
„Du sollst dich schonen, hat Doktor West gesagt. Also werde ich dafür sorgen, dass du dich schonst.“ Sein Tonfall war streng und bestimmt, doch in seinem Gesicht las sie eine seltene Sanftheit. Er geleitete sie vorsichtig in das angrenzende Wohnzimmer, wo er Silver auf das mit rotem Samt bezogene Sofa bettete. Sie wollte es nicht zugeben, doch sie fühlte sich von der kurzen Fahrt und dem noch kürzeren Fußweg ermüdet.
„Kann ich dir etwas bringen? Soll ich dir Damayanti schicken?“ Silver schüttelte den Kopf. Sie brauchte nichts. Nur Antworten. Nach wie vor beherrschte dieses Mädchen ihre Gedanken und sie konnte kaum fassen, dass Nathan den Fall abgegeben hatte. Am Anfang hatte er versucht, es zu verheimlichen. Wahrscheinlich hatte er gewusst, dass es Silver wütend machen würde. Doch er hatte nicht verbergen können, dass er beurlaubt war.
„Wieso?“, hatte sie ihn gefragt. Wie ein kleiner Junge hatte er sie verschämt angesehen, als er antwortete: „Ich möchte für dich da sein, das ist jetzt das Wichtigste. Die Kollegen können den Fall weiter bearbeiten.“ Sie hatte ihn mürrisch angesehen. „Aber du bist der Beste.“ In seinen Augen flackerte etwas auf, doch er hatte bestimmt den Kopf geschüttelt. „Nein, jetzt bin ich für dich da.“
Und nun saßen sie hier. Auf dem Sofa. Silver halb über der Lehne liegend, Nathan neben ihr, zögerlich mit einer Hand ihren Schenkel streichelnd. Hätte man es nicht besser gewusst, Nathan und Silver hätten wie ein frisch verliebtes, noch leicht verschämtes Pärchen gewirkt.
„Glaubst du wirklich, dass deine Kollegen diesem Fall gewachsen sind? Zusammen könnten wir...“
„Zusammen?!“ unterbrach er sie harsch. „Du glaubst nicht allen Ernstes, dass du weiter mit mir daran ermitteln wirst? Hast du schon vergessen, was beim letzten Mal passiert ist?“ Eine Ader an seinem Hals pochte bedrohlich.
„Vergiss den Fall endlich. Wir können nichts für das Mädchen tun. Wir tun jetzt was für uns. Ende der Diskussion.“ Nathan seufzte laut. Er konnte nicht glauben, wie hartnäckig seine Frau sein konnte. Dieses zarte Wesen, dass so oft gebrochen wurde. „Ruh dich jetzt bitte aus und tu einfach nichts Unüberlegtes.“
Als er sich erhob, gab er Silver einen Kuss auf die Stirn. Sie sah ihn mit ihren nunmehr grasgrünen Augen an. Allmählich verstand Nathan ihre Stimmungen anhand der sich wechselnden Augenfarbe zu deuten. Das kräftige Grün trug sie immer dann in sich, wenn sie etwas besonders aufregte oder sie besonders intensiv empfand. Was von beidem nun zutraf, war ihm jedoch ein Rätsel. „Kannst du wenigstens...“
„Ja, ich werde auf dem Revier anrufen und dich auf den neusten Stand bringen. Herrgott, du bist ja schlimmer als ich.“ Er schüttelte den Kopf, Silver glaubte ein leises Lachen dabei zu hören. „Ich geh jetzt deine Sachen aus dem Auto holen. Und du bleibst brav hier liegen, verstanden?“
„Aye, aye, Sir.“ Versuchte Silver zu scherzen. Es war ungewohnt, so locker und ungezwungen mit Nathan umzugehen.
Ein leises Lächeln schlich sich auf seine Lippen, als er die Tür hinter sich schloss. Die Gelassenheit, mit der er und Silver miteinander umgingen, ließ sein Herz schneller schlagen. Er wusste jedoch auch, dass die Situation jeden Moment erneut eskalieren konnte. Er hatte sich nicht im Griff. Er war ein Monster – dessen war er sich nur all zu bewusst.
Als die Tür ins Schloss fiel und das leise Klacken erklang, blickte Nathan auf. Etwas hatte sich verändert. Vor seinem eigenen schwarzen Benz stand nun ein weiterer Wagen, der ihm unbekannt war. Getönte Scheiben, mattschwarzer Lack – dieses Fahrzeug schien direkt einem Mafiosi-Film entsprungen zu sein. Skeptisch musterte er den Wagen, während er zu seinem eigenen lief. Die Türen hatte er nicht verschlossen, der Kofferraum öffnete geschmeidig und er nahm Silvers Tasche heraus.
Als er den Wagen soeben abschließen wollte, spürte er den Lauf einer Pistole in seinem Rücken. Er versuchte, sich zu drehen, doch eine starke Hand hielt seinen Nacken fest umgriffen.
„Umdrehen. Ganz langsam. Die Hände so, dass wir sie sehen.“ Raunte eine männliche, tiefe Stimme. Nathan ließ die Tasche los und tat, wie ihm gehießen. Er blickte in die Gesichter zweier Bodybuilder, die ihre Augen mit Sonnebrillen verdeckten. Der eine hatte gräuliches Hand, modisch nach hinten gekämmt. Der andere musste erst vor kurzem eine Begegnung mit einem Rasenmäher gehabt haben, denn sein Schädel war stoppelig und gerötet.
„Ich will keinen Ärger.“ Murmelte er, als Nathan versuchte hinter den abgedunkelten Gläsern Augen zu erkennen.
„Schade, wir schon.“ Lächelte der grauhaarige Kerl, während sein Kumpel Nathan die Pistole nun in den Brustkorb presste. „Also, hör zu.“ Nathan fühlte sich wie ein gehetztes Tier. Obwohl er keinen Schritt gegangen war, schlug sein Herz so rasend schnell wie nach einem Marathon. Es war nicht er selbst, um den er Angst hatte. Er fürchtete sich um Silver. Was, wenn die Kerle in die Villa gingen? Was, wenn sie Silver in die Finger bekamen? Und wie würde Silver reagieren, wenn sie Nathan vor dem Fenster niederschossen. Nervös warf Nathan einen Blick aufs Haus, doch Silver konnte unmöglich die Szene aus dem Fenster heraus beobachten. Wenigstens das. Aber was wenn sie nach draußen kam, sobald er zu lange für das Gepäck benötigte?
„Bringt es hinter euch und verschwindet wieder.“ Ächzte er, während er die beiden abwartend musterte.
„Wir wollen nur, dass du die Ermittlungen einstellst.“ Ein trockenes Husten entfuhr Nathan, als er den Kopf schüttelt.
„Dann habt ihr den Falschen, ich hab den Fall abgegeben. Ich kann euch leider nicht helfen.“ Ein süffisantes Lächeln zierte seine Lippen, während sein Innerstes zum Gebersten gespannt war.
„Dann kümmere dich drum, dass dein Kollege den Fall ad acta legt. Sonst...“ Der Silberne vollführte eine nicht zu missdeutende Geste. „Und dabei meine ich nicht dich.“ Sein Blick fiel auf die Villa, in dem Silver auf ihn wartete. Nathan biss sich auf die Zunge, um nicht ausfallend zu werden. Die Typen zu provozieren war das letzte, war er nun gebrauchen konnte.
„Ich kann nicht... Ich habe keine Befugnisse mehr, ich bin beurlaubt.“ Knirschte er. Doch als Antwort traten sie ihm die Beine fort. Nathan kam hart auf dem Asphalt der Straße auf. Als er am Boden lag, prasselten Schläge und Tritte auf ihn ein. Irgendwann wurde ihm schwarz vor Augen. „Silver...“ Seine Stimme klang nicht wie die seine.
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