Kapitel 14
Die Zeit verging und Nathan kehrte nicht ins Haus zurück. Silver wusste ja, dass sie einiges an Gepäck mit ihm Krankenhaus gehabt hatte, Nathan hatte schließlich lieber viel zu viel mitgebracht, als dass es ihr an etwas gemangelt hätte. Doch nun war er eindeutig zu lange da draußen.
„Damayanti?“, rief sie so laut sie konnte. Die Schmerzen in ihrem Körper waren so groß, dass sie ausnahmsweise die Hilfe der anderen dankend angenommen hätte. Nun aber kam niemand und Silver konnte nicht auf sich beruhen lassen, dass Nathan einfach verschand. Vielleicht hatte er sich nun endgültig entschlossen, fort zu gehen? Sie allein zu lassen? Missmutig kämpfte sie sich nach oben und wankte zum Fenster. Der Wagen stand noch, wo Nathan ihn geparkt hatte. Doch sie konnte nichts anderes sehen. Die Büsche der Hecke verdeckten ihr die freie Sicht auf die Straße.
Sie schleppte sich zur Tür und trat hinaus. Ihr wurde gleich ganz anders zu mute, doch sie wusste nicht warum. Es war vielmehr so ein Gefühl. Langsam, aber stur ging sie zum Wagen. Ging um den Wagen herum. Der Kofferraum stand weit geöffnet, von Nathan keine...
„Nathan!“, Ihr wich alle Farbe aus dem Gesicht, als sie ihren Mann am Boden liegen sah. Ein dünnes Rinnsal Blut schlängelte sich aus seinem Mund. Er war nicht bei Bewusstsein. So schnell sie konnte, ließ sie sich neben ihm auf die Knie nieder. Ihre Hände hoben seinen Kopf vorsichtig an. „Nathan...“, wimmerte sie, während ihre Finger vorsichtig über seine Schläfen streichelten. „Wach bitte auf.“ Minuten verstrichen wie Ewigkeiten, ehe Nathan die Augen öffnete. Silver atmete erleichtert auf.
„Was machst du hier draußen, du solltest doch...“, ächzend erhob er sich und sah Silver in die nunmehr eisgrauen, beinahe farblosen Augen. Sie hatte scheinbar schreckliche Angst. Um ihn? Er konnte spüren, wie ein Tiel von ihm genau das hoffte. Er wollte, dass sie sich um ihn Sorgen machte. Er wollte, dass sie ihn liebte. Und nun, da sie ihn so ansah, glaubte er beinahe, seine Wünsche konnten in Erfüllung gehen. „Lass uns hinein gehen, bitte.“ Murmelte er mit brüchiger Stimme. Silver wollte zuerst protestieren, doch sie entschied sich dann um. Vielleicht war es wirklich besser, so schnell wie möglich das Haus aufzusuchen. Die Kerle, die ihm das angetan hatten, liefen schließlich noch frei herum. Sie stützte ihren Mann, als dieser versuchte aufzustehen. Dabei konnte sie sich selbst kaum auf den Beinen halten. Sich gegenseitig stützend, humpelten sie zum Haus zurück, wo Damayanti ihnen bereits entgegen eilte. Eine Strähne hatte sich aus ihrem langen Zopf gelöst, sie war ganz aufgebracht.
„Was ist geschehen?“ Ihre Stimme schien zu zittern. Mit ihrem kleinen Körper versuchte sie, Nathan und Silver zu stützen. Es war ein vergebliches Bemühen, doch allein der Versuch rührte in Silver ein warmes Gefühl. Er tat gut, von jemandem umsorgt zu werden. Sich geliebt zu fühlen. Und Damayanti liebte sie wie eine Tochter, liebte Nathan wie einen Sohn. Gemeinsam stolperten sie in das große, geräumige Wohnzimmer. Silver fror und eine Gänsehaut zog sich über ihren gesamten Körper. Damayanti schien es zu erkennen, denn kurze Zeit später entfachte sie ein Feuer in dem alten Kamin. Silver und Nathan hatten sich auf die Couch gesetzt, vorsichtig strich Silver ihrem Mann die wirren Strähnen aus dem Gesicht und begutachtete, was die Schläger angerichtet hatten.
„Wir müssen einen Arzt rufen.“
„Wir müssen gar nichts, ich werde zum Präsidium fahren.“ Nathans Blick verriet, wie stur er war. Dass er seine Pläne durchzusetzen vermochte. Doch Silver schüttelte vehement den Kopf.
„Du spinnst wohl?“ Ihre Finger glitten über seine Wange, sie streichelte ihn sanft. Als sie eine blaue Stelle berührte, zuckte Nathan unwillkürlich zusammen. „Entschuldige.“ Sie versuchte zu lächeln, doch es misslang. Schlimmer noch als ihre eigenen Schmerzen war es zu sehen, wie Nathan mit sich kämpfte.
„Wir werden einen Arzt rufen. Danach kannst du, sofern du keine schwereren Verletzungen hast, gerne zum Präsidium. Bitte.“ Sie flehte ihn an, doch sein Blick blieb hart und unnachgiebig. „Nathan, das bist du mir schuldig.“ In seinem Blick schien etwas zu flackern, er wollte widersprechen, etwas sagen, doch es kam kein Wort aus seinem Mund. Stattdessen nickte er resigiert und lehnte sich dann nach hinten, wobei er ein schmerzerfülltes Stöhnen und Ächzen nicht unterdrücken konnte.
„Danke.“ Hauchte Silver und küsste ihn sanft. Damayanti indes ging in die Küche, um sich mit dem Krankenhaus in Verbindung zu setzen.
Nur wenige Minuten später erschien ein Krankenwagen. Dieser stand nur einige Blocks weiter in Bereitschaft und konnte daher schnell vor Ort sein. Damayanti öffnete erleichtert die Tür.
„Kommen Sie, bitte folgen Sie mir.“ Verbeugte sie sich tief und führte einen Arzt, sowie einen Helfer in die geräumige Wohnstube, wo Silver und Nathan auf der Couch kauerten und Silver redlich bemüht war, aus Nathan heraus zu bekommen, was die Typen gewollt hatten. Doch der gab nichts preis.
„Lass es gut sein.“ Zischte er bedrohlich, doch dieses Mal ließ Silver sich nur deshalb abwimmeln, weil nun der Arzt vortrat und sich als Doctor Whitman vorstellte.
„Danke, dass Sie so schnell kommen konnten.“ Lächelte Silver und stand ächzend vom Sofa auf, um sich in den Sessel daneben fallen zu lassen. „Entschuldigen Sie, aber ich wurde heute erst aus dem Krankenhaus entlassen. Langes Stehen bekommt mir noch nicht.“
„Keine Sorge.“ Lächelte der freundliche Arzt, wobei sich einige Grübchen auf seinen Wangen offenbarten, die ihn jünger wirken ließen. Er war gut aussehend, in den vierzigern und wirkte kompetent, wie er so vor ihrem Ehemann stand. Der verzog eine Miene, als er den Arzt an sich heran lassen sollte.
„Nathan, bitte.“
„Sie sind Nathan Nekrasov, oder?“ fragte da der deutlich jüngere, wohl noch etwas unbedarfte Krankenpfleger. „Ich habe Sie im Fernsehen gesehen.“
„Lass den Patienten in Ruhe, Oli.“ Raunte Doctor Whitman, während er Nathans Gesicht vorsichtig abtastete. Seine Finger befanden sich in Latex-Handschuhen, seine Berührungen hinterließen rötliche Flecken auf Nathans sonst leichenblasser Haut. Bis auf die Stellen, wo sich das dunkle Blau der Gewalt bereits seinen Weg nach oben an die Hautoberfläche bahnte.
„Blutergüsse im Gesichtsbereich.“ Attestierte er und tastete sich weiter herab zu Nathans Oberkörper. Als Doctor Whitman seine Hand auf dessen Rippen legte, ächzte Nathan schmerzhaft auf. „Gebrochen, vermute ich.“
„Ja, das merk ich selber.“ Giftete Nathan und warf Silver einen bösen Blick zu. Die stand langsam auf und stellte sich hinter Nathan, ihre Hände beruhigend auf seine Schultern gelegt. Wahrscheinlich war ihm die Situation schlichtweg unangenehm, doch es musste sein. Sie würde keinen Protest dulden, solange die Gefahr bestand, dass er ernstlich verletzt war.
Einige Minuten später war der Arzt fertig. „Einige Blutergüsse, die Rippen scheinen gebrochen und es gibt verschiedene Prellungen.“ Er stand auf und trug etwas auf einem Block ein. „Ich gehe eben ein paar Mittel gegen die Schmerzen holen.“ Silver strich Nathan sanft durchs Haar. „Das heißt Bettruhe.“
„Ich bin kein Halbblut wie du, ich regeneriere in wenigen Stunden.“ Nathans Stimme war kalt und schnitt Silver verletzend ins Herr. Sie wusste selbst, dass sie kein reiner Vampir war. Und sie hatte stets gut damit leben können. Doch der Hass, der den Halbblütern entgegenschlug, war schwer zu ertragen. Schlimmer noch, kam er aus den eigenen Reihen. „Nathan....“
„Lass mich.“ Er setzte sich jeh auf und ging zur Tür. „Er hat mich untersucht, du hast was du wolltest, ich fahre jetzt zum Präsidium.“ Die Tür knallte hinter ihm zu und als Silver ihm nachlief, stolperte sie bloß über den Arzt und seinen Assistenten. Der sah seinem Patienten verblüfft nach. „Jähzorniger Typ, oder?“ Sein prüfender Blick lag auf Silver, ihren Verletzungen. Ob er glaubte, dass.... „Er ist ein guter Mann. Er steht bloß unter großem Stress. Er hat in letzter Zeit viel durchmachen müssen.“ Entschuldigte sie ihn und nahm Whitman die Medikamente ab, die für Nathan bestimmt waren. Nach kurzen Instruktionen zur Einnahme, verschwanden die beiden Männer und Silver war wieder einmal allein.
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