Ich glaube nein. Ich kann vor Menschen nicht weinen, es ist mir unglaublich peinlich. Es fällt mir vor meiner Familie schon unglaublich schwer, vor Fremden dann also erst recht nicht. Den Tränen nahe war ich sicher oft in der Schule. Ich bin dann allerdings der Typ Mensch, der es in sich hineinfrisst in dem Moment und wo dann alles rausgeplatzt kommt wenn man dann zuhause oder allein ist.
Wenn du einmal alt bist, wie stellst du dir dein Leben vor?
Das Wochenende war vorüber. Ich hatte mir viele Gedanken gemacht, was denn zwischen Jared und Alice vorgefallen sein musste. Ihre Reaktionen ihm gegenüber schienen mir mehr als verdächtig, der dunkelhäutige Junge jedoch weigerte sich auch nur irgendetwas bemerkt zu haben. Es war zum Verzweifeln!
„Man, Jared.“ Stöhnte ich laut, als wir am Sonntagnachmittag an Valentines Koppel saßen und gemeinsam Kaffee tranken.
„Du kannst mir nicht erzählen, dass sie aus heiterem Himmel abhaut, sobald sie dich sieht. Da ist doch was im Busch.“
„Was soll denn da nur im Busch sein, Emmi. Ich kenn das Mädchen doch gar nicht. Höchstens aus Alex‘ Erzählungen. Mehr nicht.“
Ich schlug ihm heftig in die Seite, hoffte, dass das gesessen hatte.
„Verarsch wen anderes.“ Grummelte ich, ehe ich in das leckere Stück Kuchen biss, das von gestern übrig geblieben war.
„Jetzt mach doch nicht so einen Aufstand. Wer weiß, was die hat. Die bekommt sich schon wieder ein.“
„Das hoffe ich für dich, denn wenn du sie jetzt vergrault hast stehe ich wieder ganz alleine da. Danke, echt.“
Ich stand auf und ging zum Zaun. Valentine schnuffelte an dem süßen Kuchen und wollte gerade hineinbeißen, als ich die Hand weg zog.
„Das ist nix für Pferde, mein Lieber.“ Ich musste lächeln, auch wenn mir dazu eigentlich gar nicht zu Mute war. Jared hatte womöglich meine einzige Freundschaft nach nur wenigen Tagen wieder vollständig zerstört. Und ich durfte mich morgen dann wieder mit diesen Tussen herumschlagen, die sich für etwas Besseres hielten. Ganz vorne dran die Schwester des werten Herren. Ich tätschelte Val und ohne ein weiteres Wort lief ich zum Haus.
„Wo willst du denn hin?!“ Jared klang traurig, als ich ihn einfach so stehen ließ.
„Hausaufgaben.“ Mein Ton war wohl schärfer, als es beabsichtigt war. Das musste gesessen haben. Doch er durfte gern auch spüren, dass ich sauer auf ihn war.
Im Haus stolperte ich wütend die Treppe rauf und knallte die Tür hinter mir zu. Beinahe hätte ich Jimny eingeklemmt, der nach mir ins Zimmer huschte um bei mir zu sein. Eigentlich wollte ich allein sein, doch der schöne Wolfshund war wohl der einzige, den ich so gut wie immer um mich haben wollte. „Ach Jim.“ Ich verschloss die Tür und setzte mich an den Schreibtisch, auf dem einige Bilder meiner Eltern standen. Atemlos betrachtete ich das makellose Gesicht meiner Mutter, das neben dem wettergegerbten meines Vaters nahezu elfengleich erschien. „Ich vermisse sie.“ Ein leises Flüstern, mehr an mich. Eine heiße Träne rann meine Wangen herab und ich konnte nicht verstehen, wie ich all den Schmerz die letzten Wochen so tapfer ertragen hatte. Sie waren nun schon mehr als einen Monat tot. Einfach fortgewischt von dieser Erde. Und ich konnte nichts tun, um sie zurück zu holen. Ich konnte nichts tun, um wieder bei ihnen zu sein. Zu ihren Lebzeiten hatte ich es nie zu schätzen gewusst. Nun jedoch war mir klar, was ich verloren hatte. Und wie sehr ich sie geliebt hatte. Tränenerstickt warf ich mich mit einem der Bilder im Arm aufs Bett und griff nach einem riesengroßen Stoffteddy, den sie mir geschenkt hatten. Er roch sogar noch nach Mum’s Parfum. Ich seufzte und schluchzte leise auf, weinte mich in den Schlaf.
Im Sommer ja, weil meine Mama Saison arbeitet. Da kommen meine Eltern häufig nicht vor 18 Uhr heim und ich hab ja dann auch Ferien. Also ganzer Tag allein. Im Winter bin ich dann so gut wie nie allein weil sie frei hat ^^